„Mich bewegt die Dankbarbeit der Flüchtlinge“

„Mich bewegt die Dankbarbeit der Flüchtlinge“, sagen die Tierärztin Stephanie Kempchen, Günter Endres, der pensionierte Lehrer, und der Abteilungsleiter David Schaller unisono. Sie sind nicht nur Mitglieder im fünfköpfigen Sprecherteam des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr, der die Arbeit der Flüchtlingshelfer koordiniert. Sie sind auch in vorderster Front mit dabei, wenn es darum geht, Neuankömmlingen in der Stadt eine erste Orientierung zu geben und sie auch darüber hinaus im Alltag zu begleiten. Im großen Interview des Freundeskreises sprechen sie über ihre Erfahrungen im zurückliegenden Jahr.

 

Vor einem Jahr haben die Helfer angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen kaum das Nötigste leisten können. Sie waren ziemlich gefordert. Wie ist die Situation heute?

Steffi:  Vor gut einem Jahr sind die Ortenau- und die IBG-Halle zusätzlich mit Flüchtlingen belegt worden. Da hatten wir wirklich alle Hände voll zu tun. Inzwischen sind es auch in Lahr weniger Flüchtlinge geworden, aber die Arbeit ist gleich geblieben. Sie hat sich nur verlagert. Damals haben wir den Migranten gezeigt, wo sie günstig Kleider und Lebensmittel einkaufen können, heute zeigen wir ihnen, wie sie an einen Job oder eine Wohnung kommen. Inzwischen gibt es auch mehr hauptamtliche Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter des Migrationsamts, da können die Ehrenamtlichen viel individueller helfen.


Titelfoto: Wilhelmine Wulff / pixelio.de

Die Mitglieder des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr heißen Asylbewerber willkommen, um ihnen schnellstmöglich die Regeln zu vermitteln, wie man sich besten verhält und somit am einfachsten integriert.


Seit wann seid Ihr eigentlich im Freundeskreis dabei, und was hat Euch dazu bewogen, Euch in der Flüchtlingshilfe zu engagieren?
Stephanie Kempchen Freundeskreis Flüchtlinge Lahr
Stephanie Kempchen  – Foto: Huthifa Shawket

Steffi: Ich bin seit Mitte 2015 dabei. Es war mir wichtig, die Menschen aus fremden Ländern in meiner Heimat mit offenen Armen zu empfangen, auch um ihnen schnellstmöglich Regeln zu vermitteln, wie man sich besten verhält und somit am einfachsten integriert.  Zum Beispiel, dass man andere Menschen mit Handschlag begrüßt und sich vorstellt.

David: Aktiv im Freundeskreis dabei bin ich seit Dezember 2015. Ich arbeite auf dem Flugplatzgelände – daher konnte beziehungsweise musste ich zu meinem großen Entsetzen bereits im November 2015 immer wieder Flüchtlinge in Flip-Flops und T-Shirts, also in jahreszeitlich nicht angemessener Kleidung, beobachten und habe beschlossen, dass das so nicht bleiben konnte. So habe ich viele Flüchtlinge und ihre Geschichten kennengelernt und es sind Freundschaften entstanden – und ehe ich mich versah, war ich mittendrin in der Flüchtlingshilfe.

Günter: Ich bin seit Oktober 2015 dabei. Damals sind die Ortenauhalle  und die IBG-Halle mit Flüchtlingen belegt worden. Da  habe ich gesehen, dass die Institutionen des Ortenaukreises total überlastet sind  und ich habe mich entschlossen, mich im Freundeskreis zu engagieren.

 

Welches sind die gegenwärtigen Schwerpunkte Eurer Arbeit mit Geflüchteten?

Steffi: Hauptsächlich ist das die Wohnungs- und Arbeitssuche, aber auch die Begleitung von Flüchtlingen bei Behördengängen.

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Günter Endress –  Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Günter: Dazu gehören die Begleitung von Flüchtlingen ins Ausländeramt, Bürgerbüro, Jobcenter, in die Volkshochschule, zu Wohnungsbauunternehmen, Arztbesuche und das Wahrnehmen von Krankenhausterminen. Es geht auch um die Koordination der Flüchtlingsarbeit  im Sprecherkreis und die Koordination mit anderen  Einrichtungen.

David: Deutsch lernen, Arbeit suchen und Wohnen, also raus aus dem Camp auf dem Flugplatz. Und dann kommt halt leider mehr und mehr Juristisches dazu.

 

Wie groß ist der Zeitaufwand für diese Arbeit?

Steffi: Etwa eine Stunde pro Tag, mal mehr, mal weniger.

Günter: Zu groß. Der werktägliche Zeitaufwand liegt oft bei vier bis sieben Stunden, inklusive Wartezeiten.

David Schaller aka Ludwig Karlheinz haut ein parr harte Worte vor der Essbar rausDavid Schaller aka Ludwig Karlheinz haut ein parr harte Worte vor der Essbar raus31.03.2016, BZ - OLA: Ludwig Karlheinz slammt morgen im Schlachthof. Sebastian Köhli
David Schaller  – Foto: Sebastian Köhli

David: Das ist sehr schwer zu sagen. Wenn man will, kann man sich da auch in Vollzeit einbringen, ohne alles erledigen zu können, was es zu erledigen gibt. Meine Aktivitäten in der Flüchtlingshilfe beschränken sich auf meine Freizeit, also die Zeit irgendwo zwischen meiner Anstellung in Vollzeit und meinen Hobbys. Das sind konkret mindestens eine Stunde wöchentlich und maximal zwei Stunden täglich. Je nachdem.

 

Wie verträgt sich Euer Engagement mit Euren beruflichen Pflichten und Eurem Privatleben?

Steffi: In der Regel sehr gut, manchmal aber auch gar nicht, etwa wenn man an einem Telefon einen Flüchtling hat und am anderen einen Anruf wegen eines Patienten.

Günter: Berufliche Pflichten hab‘ ich als Rentner nicht mehr. Meine gewerkschaftlichen und parteipolitischen Aktivitäten sind logischerweise reduziert. Und die Zeit fürs Privatleben muss man sich freischaufeln.

David: Das geht nahtlos ineinander über, bei mir verträgt es sich wunderbar. Natürlich, berufliche Pflichten kommen zuerst, aber dann kommt die Freizeit, in der wiederum die Arbeit für Flüchtlinge und mit Flüchtlingen stattfindet. Mein Privatleben leidet darunter kein bisschen – im Gegenteil. Es wird immens bereichert und ich erlebe, besonders auf menschlicher Ebene, großartige Dinge, die ich ohne meine Beziehung zu den Geflüchteten und ihren Familien nie hätte erfahren dürfen.

 

Was sind für Euch die positiven Seiten Eures Engagements für Geflüchtete?

Steffi: Für mich ist es spannend, dass man ganz viele unterschiedliche Migranten  kennenlernt mit ihrer Kultur und ihren Traditionen. Aber auch unter den ehrenamtlichen Helfern habe ich interessante Menschen kennengelernt, denen ich sonst wahrscheinlich nie begegnet wäre. Die tollste Erfahrung: Vor einem Jahr haben 15 Flüchtlinge und Freunde am Lagerfeuer Kinderpunsch getrunken und wir haben uns unterhalten, mit Händen und Füßen und ein bisschen Englisch. In diesem Jahr haben wir das wiederholt, und da wurde schon zu 50 Prozent Deutsch gesprochen. Im nächsten Jahr wird dann nur noch Deutsch geredet.

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Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen, findet Steffi Kempchen spannend.  – Foto: piaxabay.de

 

Günter: Mich bewegt die Dankbarbeit der Flüchtlinge für oft nur kleine Hilfen, das zeigt sich zum Beispiel in Umarmungen, Einladungen zum Tee und in freundlichen Gesten.

David: Zunächst kann mit ganz einfachen Dingen wahrlich Gutes tun. Man hilft Menschen direkt, die direkte Hilfe benötigen.  Bund, Land und Landkreis schaffen das nicht alleine. Es bedarf der Mithilfe von Ehrenamtlichen wie uns vom Freundeskreis Flüchtlinge Lahr, um der derzeitigen Lage der Welt gemeinschaftlich Herr werden zu können. Es fühlt sich toll an, ein sinnvoller Teil des großen Ganzen sein zu können. Zum anderen lernt man viele Gleichgesinnte kennen, wenn man sich für Geflüchtete engagiert – was wahrhaft Balsam für die eigene Seele ist – wo man im Alltag doch oft genug mit durchaus ignoranten, kurzsichtigen, unreflektierten Meinungen konfrontiert wird.

 

Was ist besonders schwierig oder gar frustrierend und enttäuschend?

Steffi: Schwierig ist vor allem der Zugang zu traumatisierten Flüchtlingen, weil die nicht bei jeder Veranstaltung mit dabei sind, die verkriechen sich in ihren Zimmern und tun sich schwer, die deutsche Sprache zu lernen. Das ist ein Teufelskreis. Oder noch ein Beispiel: Man findet eine Wohnung für einen Migranten, findet sie selbst toll, der Flüchtling aber nicht, weil ein Balkon fehlt und die Wohnung zu klein sei.

Günter: Zum  einen die  Erfahrung, dass  Behörden  und die  Bundesrepublik Deutschland Länder wie zum Beispiel Irak oder Afghanistan zu sicheren Herkunftsländern erklären, um Menschen abschieben zu können. Des Weiteren die bürokratischen Dummheiten, die oft auch von Verantwortlichen nicht erklärt, geschweige denn verhindert werden können und die für viel Unruhe  unter den Flüchtlingen sorgen.

David: Schwierig ist so manches. Zum Beispiel ist es schwierig zu akzeptieren, dass ein Flüchtling in ein angeblich sicheres Herkunftsland zurück soll, in dem er jedoch um sein Leben fürchten muss. Teilweise ist es frustrierend, wenn man eine gemeinsame Aktivität geplant hat, zu der dann kaum ein Flüchtling erscheint – was allerdings mittlerweile eher an der Tatsache liegt, dass viele arbeiten oder Praktika machen.

 

In welchen Bereichen der Lahrer Flüchtlingshilfe werden denn noch weitere freiwillige Helfer gebraucht?

Steffi: Was uns sehr weiterhelfen würde, ist ein Sportkoordinator,  der Kontakte hält zu Sportvereinen, der weiß, was wo und wann an sportlichen Angeboten läuft. Denn Sport ist ein wichtiger Baustein bei der Integration von Flüchtlingen.

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Was der Freundeskreis Flüchtlinge Lahr noch ganz gut gebrauchen könnte, ist ein Sportkoordinator.  – Foto: R. B. / pixelio.de

 

Günter: Bedarf gibt es vor allem noch im Bereich der Sprachvermittlung und im Bereich  der Übernahme von Patenschaften, um Flüchtlinge im Alltag zu begleiten. Hinzu kommt, dass Menschen in der Anschlussunterbringung Ansprechpartner brauchen. Die Initiativen des Ortenaukreises für diese Personen sind absolut unzureichend.

David: Deutschlehrer kann man nie genug haben.

 

Wie können  die  Frauen aktiviert und zunächst zum Spracherwerb und dann zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gebracht werden?

Steffi: Wichtig ist eine Kinderbetreuung, etwa dann, wenn Frauen einen Deutschkurs besuchen. Das ist wohl das wichtigste. Dann muss man auch noch mehr Angebote speziell für Frauen machen.

Günter: Wenn Familien aus fremden Ländern in unsere moderne Industriegesellschaft kommen, ist das für uns eine  Chance, die Rolle der Frau, die oft  auch von uns neu gesehen werden muss, neu zu definieren.  Frauen aus  Syrien und aus anderen Herkunftsländern sind oft selbstbewusst und durchaus bereit, den Weg der kulturellen Veränderung mitzugehen. Dazu braucht man aber viel Zeit, ein vertrauensvolles Verhältnis, oft einen  Dolmetscher und man muss auch ein Scheitern einkalkulieren.

 

Was ist Euer Wunsch für das Jahr 2017?

Steffi: Ich wünsche mir vor allem eines: Frieden in Syrien.

Günter: Bürokratische Hindernisse abbauen und verlässliche Standards  schaffen, die nicht permanent verändert oder unterlaufen werden.

David: Wünsche dürfen auch unrealistisch sein. Traurig genug, dass meine Wünsche unrealistisch sind.


Zur Person:
  • Stephanie Kempchen: Jahrgang 1975, Studium der Veterinärmedizin in Leipzig, Promotion in Bern, Fachtierärztin für Pferde, Ausbildung zur Tierchiropraktikerin (IVCA), selbstständig in eigener mobiler Tierarztpraxis; Hobbys: ihre Tiere, Wandern, Skifahren
  • Günter Endres: Jahrgang 1944, Lehrer an Grund- und Hauptschulen, zuletzt von 1983 bis 2007 an der Friedrichschule in Lahr,  Kreisvorsitzender der Mitglieder im Ruhestand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Mitglied im Ortsvereinsvorstand der Lahrer SPD, Mitglied im Interkulturellen Beirat und im Ausschuss für  Schulen und  Soziales der Stadt Lahr
  • David Schaller: Jahrgang 1985, Handelsfachwirt, Abteilungsleiter bei Möbel Hugelmann in Lahr; Hobbys: Poetry Slam, Judo, Bogenschießen

Die Lahrer Zeitung und der Lahrer Anzeiger haben ausführlich über diesen Beitrag des Freundeskreises Flüchtlinge auf der Website berichtet.