Trotz alledem – warum wir Flüchtlingen helfen

Warum wir Flüchtlingen helfen? Dieser Frage geht Heimfried Furrer nach, einer der sieben Sprecher des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr. Gerade die Zeit vor Weihnachten und der bevorstehende Jahreswechsel sind wie gemacht dafür, sich Gedanken zu machen über das ein oder andere Thema. Zum Beispiel über das Thema Geflüchtete. Obwohl die Situation der Menschen aus fremden Ländern in Deutschland zunehmend schwieriger wird – politisch gewollt – lohnt es sich ihnen zu helfen. Trotz alledem, findet Heimfried Furrer und erläutert warum.

„Wir schaffen das!“ Dieser Satz der Bundeskanzlerin kennzeichnete auch die Stimmung der Menschen, die ganz spontan und individuell, bald aber zunehmend im Zusammenschluss mit anderen begannen, geflüchteten Menschen zu helfen. So war es in Lahr, und so entstand nach einem Benefizkonzert im Februar 2014 aus einer kleinen Gruppe von Helfern, vor allem Deutsch für Flüchtlinge Unterrichtenden, der Freundeskreis Flüchtlinge Lahr, zwischenzeitlich angewachsen auf über 100 Mitstreiterinnen und Mitstreiter.


Titelfoto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Es geht darum, Flüchtlinge so gut wie möglich zu integrieren, zum Beispiel Menschen aus einem Übergangswohnheim in der Geroldsecker Vorstadt.


Der Wind hat sich gedreht

Die auf der Webseite des Freundeskreises erschienenen Berichte über Deutschunterricht und individuelle Betreuungen, aber auch über vielfältige weitere Aktionen, Veranstaltungen und Hilfen zeigen, was bisher geleistet wurde – auch mithilfe von großzügigen Spenden aus der Lahrer Bevölkerung, die vieles möglich gemacht haben.

Der Wind hat sich gedreht – nach  rechts und das kräftig. – Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

 

Nun hat sich in der Flüchtlingspolitik der Wind gedreht. Die Anstrengungen gelten nicht mehr hauptsächlich der Integration der Geflüchteten, sondern im Gegenteil eher der möglichst hermetischen Abdichtung der Grenzen gegen den Zuzug weiterer Migranten, zugleich aber auch dem Ziel, das Leben der teilweise bereits seit mehr als drei Jahren hier lebenden und oft auch arbeitenden Geflüchteten immer schwerer zu machen.

„Warum engagiert Ihr Euch noch?“

Seht her, es lohnt sich nicht, nach Deutschland zu kommen, ist die Botschaft. Die Zunahme der Abschiebungen auch gut integrierter Arbeitnehmer und Auszubildender beziehungsweise Ausgebildeter wird inzwischen von Arbeitnehmervereinigungen beklagt. Und nicht nur Menschenrechtsorganisationen empfinden es als Skandal, dass unter anderem mithilfe der Fiktion von „sicheren Herkunftsländern“ Menschen der Verfolgung und der Bedrohung von Leib und Leben ausgesetzt werden.

Das Engagement geht unvermindert weiter. – Foto: Burkard Vogt / pixelio.de

 

„Warum engagiert Ihr Euch angesichts dieser Entwicklungen noch für Geflüchtete? Eure Arbeit, der ganze Aufwand ist doch für die Katz“, das bekommen die Ehrenamtlichen vom Freundeskreis Flüchtlinge gelegentlich zu hören. Und man wirft ihnen sogar vor, zumindest mitschuldig daran zu sein, dass immer mehr Menschen versuchen, nach Deutschland zu gelangen, weil das Leben hier angeblich so angenehm sei – auch aufgrund des Einsatzes der Helferinnen und Helfer.

Begegnung mit Menschen

Dass Letzteres hanebüchener Unsinn ist, kann man zahlreichen neueren Zeitungsberichten entnehmen: Der Weg, der oft in ein unglückliches Leben mit miesen ausbeuterischen Jobs und noch mieserer Bezahlung führt inmitten einer fremden Kultur, die die Geflüchteten diskriminiert und isoliert, dieser Weg wird aus Unkenntnis über die wahren Verhältnisse beschritten. Fernsehfilme, überwiegend aber auch falsche Versprechungen der Schlepper-Organisationen verheißen vor allem Afrikanern ein Paradies, das selbst ein erträgliches mittelständisches Leben im Heimatland als armselig und unerträglich erscheinen lässt. Daran hat die Flüchtlingshilfe keinen Anteil.

Die Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen ist ein Gewinn. – Foto: S. Hofschlaeger / pixelio.de

 

Bleibt die Überlegung, ob es sich lohnt zu helfen angesichts der unsicheren Bleibeaussichten oder gar der sicheren zukünftigen Ausreisepflicht. Die Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen, ihre Dankbarkeit für erfahrene Hilfe sowie das gute Gefühl, das sich einstellt, wenn man einem Anderen helfen konnte, das sind unschätzbar große Gewinne für die Ehrenamtlichen, die auch das großmäulige Geschwätz von Populisten und rechtslastigen National-Chauvinisten und die zunehmende Diffamierung von Helfern nicht schmälern können.

Menschliche Solidarität

Entscheidend ist jedoch etwas ganz anderes: Menschliches Zusammenleben erfordert menschliche Solidarität, wenn es nicht zu Ausbeutung, Unterdrückung, Gewalt und Krieg kommen soll. Will man wirklich unerwünschte Mitmenschen in Not sich selbst überlassen, minimal versorgt durch eine zunehmend feindselige Bürokratie, die ein angeblich christlicher Minister steuert, der der von Nazitönen strotzenden Rechtspartei Stimmen abgewinnen möchte? Will man sie isolieren und zusammenpferchen in Lagerghettos („Ankerzentren“) unter Bedingungen, die den Kontakt mit mitfühlenden Einheimischen, aber auch mit Rechtsanwälten (der „Anti-Abschiebe-Industrie“) weitgehend unmöglich macht, zumindest aber erschwert?

Menschliches Zusammenleben erfordert menschliche Solidarität. – Foto: Hannelore Louis / pixelio.de

 

Will man wirklich in Kauf nehmen, dass diese Menschen, mit schrecklichen, oft traumatisierenden Erfahrungen, mit wenig Hoffnung und zu langem Warten in Unsicherheit über ihr Schicksal verdammt, zunehmend frustriert und verzweifelt werden? Kann man sich nicht die Folgen, ja Gefahren, eines solchen Schattendaseins vorstellen?

Spielen mit anderen Kindern

Wo bleibt da die Solidarität, das Ermöglichen eines menschenwürdigen Lebens, das nicht nur Verfassungen wie unser Grundgesetz, sondern auch alle großen Religionen fordern? Oder, auf der ganz pragmatischen, alltäglichen Ebene: Haben nicht auch Flüchtlingskinder Anspruch auf Spielen mit anderen Kindern, mit Spielsachen und in dafür eingerichteten Räumen, erwachsene Geflüchtete auf Beratung und Hilfe in Situationen, die sie überfordern, auf sprachliche Förderung, auf gelegentliche Veranstaltungen, in denen sie Musik hören, tanzen oder nur bei geselligem Beisammensein für einige Zeit ihre Sorgen vergessen können?

Auch Flüchtlingskinder haben Anspruch auf Spielen mit anderen Kindern. – Foto: Thommy Weiss / pixelio.de

 

Dies und viel mehr leisten die ehrenamtlichen Helfer, und zwar unabhängig von der Dauer oder Sicherheit des Bleibestatus wie auch der Herkunft der Geflüchteten. Das Einzige, was man ihnen vorwerfen kann und was sie sich selbst vorwerfen müssen (und oft auch tun), ist höchstens ihre ausbleibende öffentliche Empörung.

Mehr Protest ist notwendig

Der Grund für ihr mangelndes Auftreten in der Politik mag in ihrer vollen Auslastung durch die Flüchtlingsarbeit liegen, vielleicht aber auch in ihrer Verbitterung und Resignation ob der Dummheit, Verlogenheit und Berechnung, die sie in den Sprüchen vieler Politikerinnen und Politiker erkennen. Ganz sicher ist aber hier noch sehr viel mehr öffentlich wirksamer Protest, zum Beispiel in Briefen an Politiker, in Leserzuschriften auf Zeitungsartikel und ähnliches nötig.

Mehr öffentlich wirksamer Protest ist erforderlich. – Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de

 

Die Frage nach dem Engagement muss jedenfalls ganz anders lauten, und zwar an die gerichtet, welche die Ausgangsfrage dieser Überlegungen gestellt haben:

Warum engagiert Ihr Euch nicht?

Und aus Offenburg gibt es den Weihnachtsgruß des Landrats.