Thema Krieg und Flucht am Volkstrauertag

Mirav: Zwangsumsiedlungen, Morde, Vertreibungen, Vergewaltigungen, Unrecht aller Art

Mirav – Foto: Heidi Fössel

„Mein Name ist Mirav. Ich bin Kurdin und komme aus Afrin in Kurdistan, Syrien. Seit drei Jahren lebe ich mit meinen beiden Kindern in Deutschland. Ich war Lehrerin für die kurdische Sprache, obwohl die Sprache verboten war. Auch unsere Religionen waren verboten. Vor dem Krieg hatten wir ein relativ gutes Leben. Jetzt haben wir alles verloren durch den Krieg.

Es gab aber immer schon für uns Kurden Probleme und Schwierigkeiten: Rassismus, Unter-drückung, Folter in Gefängnissen, Entlassung aus Schulen und Universitäten, Enteignungen. Schon 1963 wurden Kurden vertrieben und ihre Städte arabisiert. Alles, was kurdisch war, wurde weggenommen. Die Kurden mussten alles im Speicher verstecken.

Meinem Vater, der Jurist werden wollte, wurde die Ausbildung verboten. Und noch ein Beispiel: Wir mussten in unsere Geburts-Urkunden und Ausweise arabische Namen eintragen lassen. Nur manchmal konnte man mit viel Geld einen kurdischen Namen eintragen lassen. So heiße ich jetzt offiziell Najah statt Mirav, und mein Sohn Mohammed statt kurdisch Siamand.


„Ganz schlimm wurde es

nach dem Aufstand gegen Assad.“

Mirav

Unsere Stadt Afrin, in der fast nur Kurden lebten, wurde von der syrischen Regierung klein gehalten und wie ein Dorf behandelt, was Verwaltung und Schulen angeht. Deshalb wollte mein Vater, dass seine Familie nach Aleppo zieht, um bessere Chancen zu haben.

Ganz schlimm wurde es nach dem Aufstand gegen Assad: Die vier Millionen Kurden unter den 21 Millionen Syrern wollten vor allem Frieden und sich keiner der beiden Seiten anschließen. Deshalb wurden sie dann auch von beiden Seiten wie Feinde behandelt.

Drei- bis viermal am Tag flogen Flugzeuge über uns hinweg und warfen Bomben auf unser Viertel, das von den Gegnern von Assad beherrscht wurde. Wir lebten in unserer neuen Eigentums-Wohnung ohne Strom. Es war immer kalt, da es kein Heizöl gab. Ich machte unseren Öl-Ofen zum Holzofen und verbrannte Spielzeug und Möbel. In den Fenstern waren wegen der Explosionen keine Scheiben mehr. Bald lebte außer uns nur noch eine Familie in unserem Haus für zehn Familien. Das war im Jahr 2012.

Vor dem Krieg trafen sich die Mitglieder meiner Familie regelmäßig mehrmals in der Woche. Doch die Stadt-Viertel wurden von verfeindeten Gruppen besetzt und es war nicht mehr möglich, sich zu treffen. Viele Menschen, die es noch konnten, flohen. Ich konnte mit meiner kleinen Familie nicht mehr aus unserem Viertel wegkommen.

Auch Heimfried Furrer und Cosima Lipps (links von ihm) sind unter den Zuhörern im Pflugsaal. – Foto: Heidi Fössel

Von meinem jüngeren Bruder hatten wir drei Jahre lang keine Nachricht. Er wollte für keine der beiden Seiten als Soldat kämpfen und war geflohen. Nach langer Suche haben wir ihn in einem Krankenhaus in Beirut, Libanon, gefunden. Die Rebellen hatten ihn gefangen und mit Messern gefoltert. Drei Jahre lang hatte er ganz allein gelitten. Er ist jetzt in Kurdistan, Irak. Ich habe ihn bis jetzt nicht mehr gesehen.

Auf dem Dach unseres Hauses war ein Geschütz der Rebellen, und Assads Soldaten schossen zurück. Die Kinder weinten viel, konnten durch den Lärm der Raketen nicht schlafen. Gespielt haben sie mit Geschoss-Splittern. Sie konnten nicht aus dem Haus gehen und gingen nicht zur Schule. Für Kurden war es auch nicht möglich, auf einen Markt zu gehen und Lebensmittel einzukaufen. Wir lebten hauptsächlich von den Vorräten, die wir angelegt hatten.

Von unserer Wohnung im vierten Stock konnten wir vom Balkon aus sehen, wie die Rebellen alles Wertvolle wie Maschinen abbauten und wegnahmen und in die Türkei abtransportierten. Wohnungen wurden geplündert, Wertgegenstände und Möbel geraubt, die Menschen erpresst. Türen wurden eingeschlagen.

Drei junge Frauen aus Syrien und ein Mann bestreiten das Programm der Gedenkfeier zum Volkstrauertag. – Foto: Heidi Fössel

Ein junger Nachbar aus meiner Verwandtschaft mit dem Geburtsort Afrin im Ausweis wurde auf die Straße geschleppt. Dort sollten alle zuschauen, wie ihm die Kehle durchgeschnitten wurde. In den kurdischen Stadtvierteln Aleppos wurden 2016 mehrere Hundert Kurden von den Rebellen umgebracht. Diese führten jetzt Krieg gegen die Kurden.

Dabei waren die Assad-Truppen genauso schlimm wie die Rebellen. Sie hinderten Menschen an der Flucht und schossen auf sie; nur wer viel Geld bezahlen konnte, wurde durchgelassen. Junge Männer wurden festgenommen und gezwungen, für Assad zu kämpfen. Der Krieg wurde immer schlimmer, der Lärm von Geschossen und Flugzeugen machte das Leben unmöglich und für uns viel zu gefährlich.

Ich verkleidete mich mit einem Niqab als Araberin, und es gelang mir, durch die Zahlung von viel Geld mit meinen Kindern nach Afrin zu fliehen. Afrin nahm 500 000 Flüchtlinge auf, arabische Menschen, die vor den Kämpfen geflohen waren. Wir nahmen sie auf und gaben ihnen Wohnungen. Seit dem türkischen Einmarsch haben sie sich gegen die Kurden gewendet, ihre Familien getötet oder vertrieben.

2015 fielen auch auf Afrin Bomben – türkische Bomben. Ich floh mit meinen Kindern. Unter vielen Schwierigkeiten brachten uns bezahlte Schlepper nach Istanbul. Wir haben da sieben Monate gelebt und für Geld gearbeitet, auch mein zwölfjähriger Sohn. Mit Hilfe, auch Geld, von meinem Bruder habe ich Schlepper bezahlt, die uns mit dem Schlauchboot nach Griechenland brachten. Wir sind dabei nur knapp dem Tod entronnen.

„Wir sind jetzt in Sicherheit, aber

der Krieg verhindert, dass ich glücklich bin.“

Mirav

Wir sind jetzt in Sicherheit, aber der Krieg verhindert, dass ich glücklich bin. Meine Seele ist in meiner Stadt, wo die Türken zusammen mit den syrischen Rebellen-Gruppen gegen die Kurden Krieg führen. Diese Rebellen sind Terroristen. Sie hatten ihre Frauen und Kinder in ihren Städten wie Idlib oder Dir Alzor zurückgelassen, wo sie von Assads Truppen ermordet wurden. Jetzt vertrieben und ermordeten sie selbst die Kurden. In ihrem Hass zerstückel-ten sie und ihre türkischen Verbündeten sogar Leichen.

Sie können sich vorstellen, was das alles für die Kurden bedeutet: Zwangsumsiedlungen, Morde, Vertreibungen, Vergewaltigungen, Unrecht aller Art. Geschützte, viele tausend Jahre alte kurdische Kulturdenkmäler wurden zerstört, Teile in die Türkei verschleppt. Die kurdische Kultur soll ausgelöscht werden.

Im März 2018 war Afrin zur Hölle geworden. 700 000 Kurden sind jetzt aus Afrin vertrieben worden. Die meisten leben, wie meine Schwester und ihre Familie, in Zeltlagern. Sie erleiden die Qual, in zwei Kilometern Entfernung ihre Stadt Afrin zu sehen – aber sie dürfen nicht mehr dorthin gehen. Sie sehen, wie ihr Eigentum, ihre Häuser, Felder, Olivenbäume, von Banden verbrannt wird. Afrin ist jetzt eine arabische Stadt, in der der Islam gepredigt wird, die Frauen Kopftuch tragen müssen und in den Schulen zum Djihad aufgerufen wird.

Alles nur weil wir Kurden sind.“



Auch die lokale Presse hat über den Volkstrauertag in Lahr berichtet: Badische Zeitung und Lahrer Zeitung.