Cornelia Lanz: Mit Mozart das Vertrauen zu Flüchtlingen aufgebaut

Lahrer Lokalzeitungen haben jüngst einen Artikel über Cornelia Lanz aus München veröffentlicht. Inhalt: Die Opernsängerin ist seit dem 1. Januar 2021 neue Leiterin des Lahrer Kulturamts – als Nachfolgerin von Gottfried Berger. Wer sich auf Cornelia Lanz‘ Website einen Überblick über ihr Repertoire verschafft, kommt ins Staunen. Da gibt es eine ellenlange Liste aus den Sparten Oper, Oratorium und Lied – mit Auftritten quer durch die Republik, aber auch im Ausland, in New York zum Beispiel oder in China. Interessant, denkt sich der ein oder andere sicherlich, aber was hat dieses Thema auf der Website des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr verloren?

Nun, Cornelia Lanz macht genau das, wofür sich auch die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Freundeskreises engagieren. Sie bemüht sich um die Integration von Geflüchteten. Nur auf eine etwas andere Weise. Sie hat im Jahr 2014 – das ist auch das Gründungsjahr des Freundeskreises – den Verein Zukunft Kultur mit Sitz in Stuttgart ins Leben gerufen, dessen Geschäftsführerin sie ist. Sein Ziel: Integration, Völkerverständigung und Friedensarbeit durch Kultur zu fördern. Konkret sieht das dann so aus: Die Mezzosopranistin hat zusammen mit Geflüchteten insgesamt sieben große Opern an mehr als 50 Orten – auch im Fernsehen – erarbeitet und mit den Aufführungen für Aufsehen gesorgt. Grund genug, mit ihr über ihre Arbeit mit Flüchtlingen zu sprechen:


Titelfoto: Holger Borggrefe

Die viel gefragte Opernsängerin Cornelia Lanz ist seit dem 1. Januar 2021 neue Leiterin des Lahrer Kulturamts.


Von der Opernbühne in die Amtsstube. Haben sie Ihren Berufswechsel schon verdaut, sind Sie schon ein bisschen in Lahr angekommen?

Meine Familie und ich sind sehr gut angekommen in Lahr und fühlen uns hier pudelwohl. Unser kleiner Sohn geht in die Kita, am Wochenende erkunden wir die wunderbare Gegend. Die von Ihnen angesprochene „Amtsstube“ gleicht mit den schönen hohen Räumen des Alten Rathauses eher einem Mini-Schloss und ich empfinde das Kulturamt mit seinem tollen Team als Start-Up der Kultur im Kosmos der Verwaltung.

Die Erfahrung, dass Integration durch Musik funktionieren kann, machen wir vom Freundeskreis in Lahr auch. Unsere Flüchtlingsband The Worlderers spielt Lieder aus der Heimat, internationalen Pop, deutsche Volkslieder und Schlager. Aber Geflüchtete und Oper, also Hochkultur? Das ist doch ein ganz anderes Kaliber. Wie ist es Ihnen gelungen, Geflüchtete für so ein Projekt zu rekrutieren? Woran liegt es, dass so ein Projekt funktioniert?

Von den Worlderers wurde mir schon viel berichtet und ich freue mich, sie live zu hören. Ansonsten: Ich würde nicht in solchen Kategorien denken. In jeder Sparte ist es anspruchsvoll, hohe Qualität auf die Bühne zu bringen. Ich denke, es geht immer darum, für was man brennt, was man liebt. Bei mir ist das die Oper. Da kann man anstecken und andere mitziehen durch Authentizität. Als ich im Gymnasium unterrichtet habe, wollten die Schüler immer Carmen oder West Side Story mit mir spielen, nach Popsongs haben sie nicht gefragt.

Cornelia Lanz: Opern mit Ohrwurmgarantie – Foto: Holger Borggrefe

Und wie war das bei Geflüchteten?

Wir sind 2014 mit Opernteam für mehrere Monate in ein ehemaliges Kloster gezogen, in dem damals 74 syrische Geflüchtete ankamen. Erst bauten wir die Bühne und ich sang mit den vielen Kindern, nach und nach kamen die Eltern dazu. Die Mission war: Zeigt uns Eure Musik, wir zeigen Euch unsere. Mozart war der Schlüssel zum Vertrauensaufbau und zum Beginn langer Freundschaften. Die Opern waren sehr gute gemeinsame Ziele im Alltag eines Flüchtlingsheims – mit Ohrwurmgarantie.

Sie sind jetzt Leiterin des Kulturamts in Lahr. Wir haben zudem eine Pandemie. Was wird in dieser Situation aus Ihrem Verein Zukunft Kultur? Gibt es schon Pläne für die Zeit nach Corona?

Bei vielen Produktionen warten wir, bis die Pandemie vorbei ist: Der Verein arbeitet derzeit an verschiedenen Konzepten neben dem Migrationsthema zu Themen wie Umwelt und Digitalisierung. Die Geflüchteten sind Angekommene geworden und arbeiten neben der künstlerischen Arbeit zum Beispiel als Pädagogen, Übersetzer oder Webdesigner mit uns. 2022 wollen wir Tschaikowskys „Jungfrau von Orléans“ mit den Stuttgarter Philharmonikern auf die Bühne bringen. Außerdem ist im Gasteig München „Westöstlicher Divan“ mit Julian Prégardien und BBC-Reportage geplant. Mit vielen Geflüchteten halten wir online Kontakt – es ist eine harte Zeit für sie, keiner möchte zu Covid-19-Zeiten in einem Flüchtlingsheim mit Gemeinschaftsbad leben. Einige unserer Dozenten schreiben Doktorarbeiten über die Integrationsarbeit, eine wurde sogar gerade in Harvard vorgestellt.

Cornelia Lanz als Hängende Carmen, 2017, MMA München – Foto Misha Jackl

Können Ihnen Ihre Erfahrungen aus der Arbeit mit Geflüchteten bei ihrer Tätigkeit in Lahr von Nutzen sein, Ihnen Anregungen geben?

Die sehr intensive Zusammenarbeit mit Menschen, die mit Tod, Diskriminierung, Folter und Flucht konfrontiert sind, wird mein ganzes Leben prägen. Ich habe eine unglaubliche Dankbarkeit für Frieden und Demokratie gelernt. Ein Beispiel hierzu: Unser größter Auftritt bei Die Anstalt im ZDF wurde von sieben Millionen Zuschauern gesehen und erhielt den Grimme- und Amnesty-Menschenrechtspreis. Daraufhin erhielten wir Einladungen bis zu Bundespräsident Gauck, zur UNO nach Genf und in den Deutschen Bundestag. Nachdem wir oben in der Kuppel sangen „L’amour est un oiseau rebelle“ meinte Ahmad: „Fällt Dir auf, wie offen Euer Parlament ist? Überall sind Fenster. Wir sind oben und schauen auf die Abgeordneten hinunter und singen Carmens Freiheitshymne. In Syrien dürfen wir zum Palast unseres Präsidenten nicht näher als 1000 Meter.“ Da spürte ich, dass gute Projekte in Deutschland Gehör finden und ungeahnte Chancen bekommen. Deswegen möchte ich in meinem Heimatland Kultur gestalten. Sicherlich werden die vielen bewegenden Erlebnisse in die Arbeit in Lahr einfließen und weitere dazukommen.

Idomeneo: Houzayfa Al Rahmoon, Sarmad Fouad Shakur und Cornelia Lanz – Foto: Andreas Knapp

Sie verfügen über einen großen Erfahrungsschatz mit Geflüchteten. Der Freundeskreis Flüchtlinge hat sich vor dem zweiten Lockdown mit der Frage beschäftigt, wie man Geflüchtete anregen kann, selbst aktiver zu werden, zum Beispiel eine Selbsthilfegruppe ins Leben zu rufen? Haben Sie eine Idee, wie man Geflüchtete dazu motivieren kann?

Der Verein Zukunft Kultur hat inzwischen einige „Töchter“, über die ich sehr glücklich bin: Ahmad Abbas gründete nach dem Projekt Idomeneo den „Syrischen Friedenschor München“. Houzayfa Al Rahmoon inszeniert und schreibt eigene Theaterproduktionen und studiert Schauspiel und Zaher Alchihabi dreht Filme, bei denen er Regie führt. Das hat mich immer am glücklichsten gemacht, wenn der Funke übergesprungen war und ich mich zurückziehen oder einfach im Publikum sitzen konnte. So verstehe ich auch die Arbeit im Kulturamt: Wir sind Moderatoren, Motivatoren und Mentoren, die Mittel, Raum, Vernetzung und Wege suchen, Projekte zu ermöglichen. Oft hatte ich das Gefühl, dass die Arbeit an der Oper und an Stimme und Körper eine Art „Selbsthilfegruppe“ war. Einmal las eine Syrerin zu Probenbeginn eine WhatsApp, dass ihre Cousine erschossen wurde. Die Frauen brachen in Tränen aus. Ich wollte sie heimbringen, aber sie sagte nur: „Was außer singen bleibt mir jetzt?“ Ein Motivationsrezept habe ich nicht. Aber ich denke, wie Sie es machen, ist es toll: Vorleben, Anreize geben, Raum schaffen. Manchmal auch mitziehen: Ich habe öfter erlebt, dass der Krieg oder kulturelle, sprachliche oder finanzielle Schwierigkeiten in Deutschland die Menschen immer wieder eingeholt haben und sie Unterstützung brauchten. Umgekehrt haben sie mich auch aufgebaut, wenn ich müde war nach den Proben oder etwas schief lief.

Eine Szene aus Zaide.Eine Flucht., München. – Foto Gisela Albrecht

Der Freundeskreis Flüchtlinge engagiert sich mit seinem Grundschulprojekt für die sprachliche Förderung von Migrantenkindern – egal, ob geflüchtet oder nicht. Könnten Sie sich vorstellen, dass in der Stadt auch für die Zielgruppe der nicht-muttersprachlichen Kinder und Jugendlichen ein kulturelles Angebot gemacht wird?

Unbedingt und das gibt es ja auch schon zum Beispiel durch die Puppenparade und den Lahr-Pass. Ich sprach letzthin mit Theaterpädagogin und Kollegin Ismene Schell. Der Freundeskreis und ich wollten uns ja direkt in meiner ersten Amtswoche treffen, doch dann kam leider der Lockdown. Lassen Sie uns planen, Ideen austauschen, Visionen spinnen, ich freue mich.

Lahr ist nicht Stuttgart, Lahr ist nicht München. Können Sie sich trotzdem vorstellen, ein vergleichbares Projekt wie die Mozart-Opern auch in Lahr zu realisieren – zum Beispiel in Kooperation mit dem Freundeskreis Flüchtlinge und anderen Partnern?

Herzlich gerne. Dazu brauchen wir nicht Stuttgart oder München. Unsere erste Mozartoper „Così fan tutte“ ist übrigens in meinem Heimatlandkreis Biberach an der Riss im Dorf Oggelsbeuren mit 400 Einwohnern entstanden – dagegen ist Lahr eine Metropole. Es geht nur um Willen, Vertrauen, Liebe und Zeit.

Cornelia Lanz – zur Person

Der Verein Zukunft Kultur

Eine persönliche Frage zum Schluss. Sie singen auf Dutzenden von Bühnen. Tun sie das auch zu Hause, beim Duschen oder Staubsaugen zum Beispiel? Und welche Lieder stimmen sie dann an?

Hier wird immer gesungen und der kleine Mischi, mein Sohn, singt mit. Zur Zeit Weihnachtsarien von Bach und Mascagni, die ich an Weihnachten in einem Stream in der Philharmonie im Gasteig München singen durfte, gemischt mit Jingle Bells oder Feliz Navidad, oder Händelarien für ein Projekt im Roxy Ulm gemischt mit Kinderliedern, zum Beispiel „Von den blauen Bergen kommen wir“. Wenn ich morgens singend am IBG vorbei radle, schauen sich die Schüler in der Raucherecke um – vielleicht gewöhnen sie sich ja bald an die singende Kulturamtsleiterin mit Lastenrad und Kind.

Idomeneo 2016, Lucerne Festival Orchester und Geflüchtete – Foto Andreas Knappe

Über Cornelia Lanz und ihren Verein gibt es weitere Informationen zum Anklicken:

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