„Das Bedürfnis nach gegenseitigem Austausch ist gross“

Das Bedürfnis nach gegenseitigem Austausch ist gross. Das ist ein  Fazit des Kommunalen Flüchtlingsdialogs. Dazu hatte die Stadt Lahr Mitte Februar eingeladen. Sein Ziel: Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sollten miteinanderim Rahmen von Workshops ins Gespräch kommen. Sophia Stappel von der städtischen Ansprechstelle Flüchtlingsfragen hat die Veranstaltung organisiert. Der Freundeskreis Flüchtlinge Lahr hat bei ihr nachgefragt: Was hat’s gebracht?
Spannendste Frage zuerst: War die Veranstaltung ein Erfolg und woran kannst Du ihn festmachen?

Sophia Stappel: In meinen Augen war die Veranstaltung ein Erfolg. Ziel war es ja, möglichst viele unterschiedliche Akteure, die mit Geflüchteten direkt oder indirekt zu tun haben und Interessierte zusammenzubringen, persönliche Begegnungen zu ermöglichen und einen Austausch über zentrale Themen und Herausforderungen anzuregen. Es haben rund 150 Menschen mit und ohne Fluchterfahrung an dem Dialog teilgenommen. Das waren viel mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer, als wir erwartet hatten. Außerdem kamen etwa 40 Menschen mit aktueller Fluchtgeschichte, die zum Teil noch in Gemeinschaftsunterkünften, zum Teil aber auch schon in eigenen Wohnungen leben. Das hat gezeigt, dass das Bedürfnis nach Austausch groß ist.


Titelfoto: privat

Sophia Stappel am Mikrophon beim Kommunalen Flüchtlingsdialog im Max-Planck-Gymanasium.


Rund 150 Menschen im Dialog, wie geht das?

Sophia Stappel: Um wirklich jede Person anzuhören und jedes Thema auszudiskutieren, sind natürlich bei einer so hohen Teilnehmerzahl drei Stunden viel zu wenig. Aber wir haben es dennoch geschafft, die wichtigsten Themen, Herausforderungen und Ideen zusammenzutragen und Anregungen für neue Projekte zu bekommen. Jetzt haben wir eine bunte Ergebnisliste, an der wir in diesem Jahr weiterarbeiten möchten. Für die Umsetzung braucht es dann wieder das Engagement und die Kreativität aller Beteiligten.

Wer war eingeladen und wer ist alles gekommen?

Sophia Stappel: Eingeladen waren alle Lahrerinnen und Lahrer, die Interesse an der Situation von geflüchteten Menschen in Lahr haben. Wir haben daher die ehrenamtlichen Helferkreise in Lahr, das Migrationsamt Ortenaukreis, die Stadtverwaltung, den Gemeinderat und weitere städtische Gremien, Arbeitgeber der Region sowie Wohnbaugesellschaften eingeladen. Gezielt eingeladen wurden außerdem weitere Experten aus dem Bereich Arbeit, zum Beispiel die Industrie- und Handelskammer, die Kommunale Arbeitsförderung oder die Agentur für Arbeit.

Kommunaler Flüchtlingsdialog im Max-Planck-Gymnnasium – Foto: Heidi Fössel
Sind auch Flüchtlinge in den Dialog einbezogen gewesen?

Sophia Stappel: Ja natürlich, uns war es ein großes Anliegen, besonders die Menschen anzusprechen, um die es bei der ganzen Thematik konkret geht. Daher hatten wir Plakate in den Gemeinschaftsunterkünften ausgehängt, die von Dolmetschern, aber auch von Flüchtlingen selbst in verschiedene Sprachen übersetzt wurden, damit sie über die Veranstaltung informiert sind und sich angesprochen fühlen. Darüber hinaus haben zahlreiche Ehrenamtliche, Kooperationspartner und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Sozialdienst in den Unterkünften vor Ort die Veranstaltung fleißig beworben und mögliche Interessenten direkt angesprochen.

Jetzt mal zu den Ideen und Anregungen in den Workshops. Welche wichtigen Anregungen und Ideen gab es denn da?

Sophia Stappel: Die Ergebnisse der einzelnen Workshops wurden bei der Veranstaltung am Ende kurz vorgestellt. Wie die Diskussionen im Detail verlaufen sind, werden wir erst bei einem gemeinsamen Evaluationstreffen Mitte März besprechen, an dem die Moderatorinnen und Moderatoren sowie die Planungsgruppe teilnehmen. Nach diesem Treffen wird eine Veranstaltungsdokumentation erstellt, die eine ausführliche Darstellung der Workshop-Ergebnisse sowie einen konkreten Maßnahmenkatalog beinhaltet.

Und ganz konkret?

Sophia Stappel: Ein Dialog der Religionen in einer  Veranstaltung war zum Beispiel eine konkrete Projektidee. Ein wichtiger Handlungsbedarf wurde in Projekten gesehen, die ein Geben und Nehmen aller Teilnehmenden ermöglichen, zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen. Weiteres Thema: Das Leben in einer Gemeinschaftsunterkunft: Anregungen waren da, dass sowohl die Öffnung der Sozialräume, als auch private Rückzugsräume wichtig sind für ein gelingendes Zusammenleben. Geflüchtete haben auch das Bedürfnis geäußert, verstehen zu wollen, „wie es bei den Deutschen läuft“. Es ging auch um die Frage, wie Spracherwerb gefördert werden kann. Spezieller Sprachunterricht für Jugendliche in der Schule, die sprachliche Unterstützung in Anschlussunterbringungen sowie regelmäßige Austauschtreffen der Sprachkursanbieter waren unter anderem konkrete Vorschläge.

Junge Familie beim Kommunalen Flüchtlingsdialog – Foto: Heidi Fössel
Hat auch die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen eine Rolle gespielt?

Sophia Stappel: Das war in einem der Workshops das zentrale Thema. In der anschließenden Diskussion wurde von den Teilnehmenden angeregt, dass Vermieter und Mieter über ihre Rechte und Pflichten besser informiert werden sollen. Auch sei die soziale Begleitung von Geflüchteten, die in private Wohnungen ziehen, enorm wichtig. Es ging auch um die Frage, wie in Lahr mehr Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt werden könne. Konkrete Ideen waren Wohnen gegen Mithilfe, zum Beispiel im Garten oder beim Einkaufen. Es gab auch die Idee eines Netzwerks für Vermieter, das als Ansprech- und Beratungsstelle fungieren könne.

Thema Ausbildung und Arbeit: Hat es da interessante Perspektiven gegeben?

Sophia Stappel: Am Workshop zu diesem Thema haben fast 60 Personen teilgenommen –  es war von sehr großem Interesse, besonders unter Geflüchteten. Wichtigste Voraussetzung für Ausbildung und Arbeit ist die Sprache mit einem Sprachniveau von mindestens B1, so die übereinstimmende Meinung. Darüber hinaus wurden die Möglichkeiten eines Praktikums und die dafür notwendigen Voraussetzungen sowie mögliche Probleme der Ausbildungsanerkennung thematisiert und nach Lösungen gesucht.

Im Kommunalen Flüchtlingsdialog mit Moderatorin  Carla Schönfeld – Foto: Heidi Fössel
Haben auch Flüchtlinge ihre Bedürfnisse deutlich gemacht?

Sophia Stappel: Im Mittelpunkt für viele Flüchtlinge stehen die Themen Arbeits- und Wohnungssuche. Sie wollen hier in Lahr und in Deutschland ankommen und ein Leben aufbauen. Dies wurde mehrfach betont. Die langen bürokratischen Wege bei der Jobsuche ebenso wie die Skepsis und Vorurteile,  mit denen sich manche Flüchtlinge bei der Wohnungssuche konfrontiert sehen, erfordern einige Anstrengungen sowie viel Geduld und Ausdauer. Vor dem Hintergrund einer ohnehin schwierigen Lebenssituation ist dies für viele eine große Belastung.

Was kann man da tun?

Sophia Stappel: Ich sehe da den dringenden Bedarf der persönlichen Begegnung und des Kennenlernens, damit die Motivation für den Spracherwerb steigt, Vorurteile abgebaut werden können und ein gemeinsames Miteinander mit gegenseitiger Unterstützung und Vertrauen entstehen kann.

Wie soll es nach diesem Workshop nun weitergehen? Was passiert mit den gewonnenen Erkenntnissen?

Sophia Stappel: Was die neuen Erkenntnisse aus der Veranstaltung angeht, wird es zunächst eine Auswertung der gesammelten Ergebnisse geben. Wir werden einen Bericht der Veranstaltung erstellen, in dem der Verlauf und die Ergebnisse der Workshops zusammengefasst sind. Außerdem werden wir einen Ausblick für die Jahre 2017  und  2018 geben mit konkreten Planungsschritten und Verantwortlichkeiten für die Umsetzung der Ideen.

Kommunaler Flüchtlingsdialog: eine Möglichkeit der Begegnung für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund – Foto: Heidi Fössel
Wie bist Du eigentlich auf die Idee mit dem Flüchtlingsdialog gekommen?

Sophia Stappel: Der Kommunale Flüchtlingsdialog ist ein vom Land Baden-Württemberg gefördertes Projekt im Rahmen des Programms „Flüchtlingshilfe durch Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft“. Wir haben auf die Projektausschreibung reagiert und die Chance für Lahr genutzt.

Soll der Dialog in dieser Form weitergeführt werden?

Sophia Stappel: Der große Bedarf nach Austausch und Information wurde während dieser Veranstaltung sehr deutlich. Ich persönlich fände es sinnvoll, wenn regelmäßig ein  offener Dialog zu dieser Thematik stattfinden würde. Immerhin leben momentan über 1300 Flüchtlinge in Lahr und eine Vielzahl an Menschen engagiert sich haupt- oder ehrenamtlich, um die Lebenssituation und die Integration von Geflüchteten in Lahr zu verbessern. Um dies zu gewährleisten, ist es unumgänglich, dass wir uns als Akteure gegenseitig informieren, Interessen artikulieren und gemeinsam Ideen entwickeln. Konkret wollen wir bei der Umsetzung einzelner Vorschläge aus der Veranstaltung den Dialog in unterschiedlichen Formaten  – gezielt und themenzentriert – weiterführen.

Zur Person

Sophia Stappel, Alter: 29 Jahre; Ausbildung: 2007 Abitur; 2009-2012 Bachelorstudium, Bachelor in Nah- und Mitteloststudien (Marburg); 2014-2016 Masterstudium in Intercultural Conflict Management (Berlin); 2016 Ausbildung zur Mediatorin (Berlin); Arbeitsplatz in Lahr: Amt für Soziales, Schulen und Sport, Ansprechstelle für Flüchtlingsfragen, zusammen mit ihrer Kollegin  Beatrice Meyer

Weitere Informationen zur städtischen Ansprechstelle für Flüchtlingsfragen gibt es hier.

Weitere Informationen zum Flüchtlingsdialog gibt es hier.

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