Café-Tagebuch

Das Café international im interkulturellen Garten ist das Herzeigeprojekt des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr und ein toller Erfolg. Das zeigt sich auch daran, dass dem Freundeskreis am 18. September 2023 für das Café der Ortenauer Integrationspreis verliehen worden ist. Einen detaillierten Eindruck davon, was an den Freitagnachmittagen des Cafés stattfindet, bekommt man, wenn man das Tagebuch liest.

Das Tagebuch dokumentiert viele Details aus dem Betrieb des Cafés, die ein rundes Bild dessen ergeben, wie der interkulturelle Austausch im interkulturellen Garten vor sich geht. – Foto: pixabay.de
TagebuchTagebuch
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2025

31. Januar 2025

Neue Gesichter und viele Fragen

Nach unserem Info-Vormittag im Clara-Schumann-Gymnasium (Katya, Alaa, Klaus und Heimfried) waren wir etwas enttäuscht: Wir hatten zwar aufmerksame Zuhörer, aber es gab nicht sehr viele Fragen der Schülerinnen und Schüler.

Deshalb heute die Überraschung: Eine der Zehntklässlerinnen, Emilia, erschien als Gast im Café und zeigte sogar Interesse, am Grundschulprogramm teilzunehmen. Sie suchte mutig das Gespräch mit Geflüchteten und spielte dann mit den Kindern, die von ihrer lieben und fröhlichen Art sehr angetan waren. Sie wäre als Mitstreiterin eine Bereicherung für uns.

Neue Gäste im Café – sie kommen aus Indien. – Fotos: Freundeskreis Flüchtlinge

Und noch ein sehr erfreulicher Neu-Zugang: Nitah ist nicht mehr die Einzige aus Indien, denn Amir macht uns mit drei Klassenkameraden aus der Berufsschule bekannt. Manish, Imran und Liaqat kommen aus Haiderabad und Neu-Delhi. Sie sprechen schon gut Deutsch, haben schon in ihrem Heimatland Deutsch gelernt, Einer sogar mit B1-Abschluss. Alle Drei arbeiten, genießen die Atmosphäre im Café und wollen wiederkommen.

Etliche weitere Gäste sind zum ersten Mal dabei. Das Spektrum der Nationalitäten ist sehr groß: Neben den Indern noch Afghanen, Syrer, Iraner, Palästinenser, Russen, Türken, Ukrainer und natürlich Deutsche. Und eine Brasilianerin aus Ettenheim, die sich dort für Flüchtlinge engagiert, ist in Lahr auf der Suche nach Migranten, die Russisch sprechen, denn sie möchte diese Sprache lernen. Sie wird fündig.

Glückwünsche für Günter

Etliche Gespräche über finanzielle Hilfen. Wir sind aber am Limit unserer Möglichkeiten angelangt. Ein Iraker fragt nach Kirchenasyl. Einem Familienvater aus Algerien, dessen Familie abgeschoben werden soll, ist die Bedeutung eines Briefs von seinem Anwalt nicht ganz klar. Fragen gibt es auch zur Demokratie-Veranstaltung der Evangelischen Erwachsenenbildung, die am Samstag, 8. Februar, im Haus am Doler Platz stattfindet.

Vor einem Jahr haben wir Günters Geburtstag gefeiert, und auch heute singen wir ihm ein Ständchen – zum Einundachtzigsten. Herzlichen Glückwunsch, Günter!

Und noch ein freudiges Ereignis: Selahaddin hat nach fünf Jahren seine Frau wiedergesehen. Nachdem sie einen türkischen Pass bekommen hatte, haben sich die Eheleute für ein paar Tage in Bosnien getroffen. Sobald Selahaddins Frau ein deutsches Visum bekommt, steht einer endgültigen Familienzusammenführung dann nicht mehr im Weg. Das kann allerdings noch dauern.

24. Januar 20225

Zwei unerwartete Ereignisse

Amani hatte gebetet, dass ihre Verwandten in Gaza nicht zu den Opfern der verheerenden Angriffe gehören würden. Und weil diese das schreckliche Geschehen überlebt hatten, lud Amani alle Gäste im Café zu einem köstlichen Essen aus Hähnchenschlegel und Gewürzreis mit buntem Salat ein. Für die annähernd 70 Gäste gab es mehr als reichlich zu essen, obwohl es so gut schmeckte, dass mindestens einem auch noch ein üppiger Nachschlag schmeckte – und sogar einige Portionen mit nach Hause genommen wurden.

Amani hatte für die Gäste des Cafés Huhn, Reis und Salat vorbereitet und die griffen gerne zu. – Fotos: Freundeskreis Flüchtlinge

Ein ganz besonderes Ereignis war das überraschend angekündigte Klassik-Konzert der jungen Marianna Kramarenko, deren gekonntes Spiel auf der Querflöte von ihrer Lehrerin Tatjana Kharalgina-Wilson am Flügel begleitet wurde. Ein Walzer von Dmitri Shostakowich, ein Scherzo von Johann Sebastian Bach sowie ein Stück von Miroslav Skorik beeindruckten die Anwesenden so sehr, dass es im sonst immer sehr lebhaft lauten Café erstaunlich ruhig war.

Unzufrieden war nur die kleine Mascha, weil alle Buntstifte verschwunden waren. Nächstes Mal wird es viele Buntstifte geben, haben wir ihr versprochen – und uns darauf verlassen, dass Leser dieser Notizen am nächsten Freitag Buntstifte mitbringen . . .

. . . und dazu gab es klassische Musik.

Daneben fand das „normale“ Café-Geschehen statt, mit dringenden Bitten um Hilfe bei der Wohnungssuche sowie um finanzielle Hilfen, Berichten über Erfolge und Misserfolge in den Deutschkursen und im Beruf, aber auch mit lockeren Gesprächen und etlichen Schachpartien der Kinder.

Wo sonst kann man solch interessante und anregende zweieinhalb Stunden erleben?

  • Vom Konzert gibt es einen kleinen Eindruck auf YouTube.

17. Januar 2025

Berufsausbildung war das Thema

Der heutige Nachmittag stand ganz im Zeichen von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Fast 70 Gäste waren gekommen, auch etliche neue, um zu hören, was Julia Gauerhof von der Industrie- und Handelskammer an Informationen mitgebracht hatte. Sie, die „Kümmerin“, so die offizielle Bezeichnung ihres Arbeitsfeldes, war uns bereits von einem früheren Besuch bekannt.

Damals war sie mit ihrer, heute leider wegen Krankheit verhinderten, Kollegin Katharina Beckmann von der Handwerkskammer, auf großes Interesse unter den Geflüchteten gestoßen und von Beginn bis zum Ende von Ratsuchenden umgeben. Auch heute gab es wieder viele Fragen, und Julia musste viele auf ihre Bürostunden oder auf zuständige Kolleginnen oder Kollegen verweisen.

Zwei Problemfelder standen dabei im Vordergrund: Zum einen haben nur sehr wenige junge Geflüchtete die für eine Ausbildung notwendige sprachliche Qualifikation des Niveaus B1 oder B2. Und für die Älteren steht die Frage im Vordergrund, ob und wie ihre bereits vorhandene Qualifikation und Berufserfahrung anerkannt oder wenigstens teilweise berücksichtigt werden kann, wenn sie sich für eine Arbeit oder eine Ausbildung beziehungsweise Weiterbildung bewerben.

Julia Gauerhof informiert im Gespräch mit Geflüchteten über Möglichkeiten einer Ausbildung. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge

Dank der Übersetzungshilfe von Muhammed und Arkan konnten zahlreiche Gespräche stattfinden, und die vielfältigen Angebote zu Hilfen bei der Ausbildungsberatung, bei Bewerbung und bei Hilfen im Kontakt mit den Behörden wurden dankbar registriert, die Kontaktadressen notiert.

Erfreuliche Nachrichten am Rande sind immer wieder Erfolge von fleißigen und aktiven Geflüchteten: Mustafa („der Dünne“) hat eine Teilzeitstelle als Betreuer an der Berufsschule, Momo als Schwimmlehrer. Konstantin und seine Frau haben eine behindertengerechte Wohnung für sich und die neu angekommene Schwiegermutter in Lahr gefunden – und er erzählt lebhaft von den Parallelen zu der im Deutschkurs am Vormittag in einem Text behandelten gelähmten Margarete Steiff.

Wenn doch nur alle, die öffentlich Unsinniges über Geflüchtete schwadronieren, erleben könnten, mit welchem unermüdlichen Eifer unsere migrantischen Freunde und Freundinnen sich bemühen, in Deutschland Fuß zu fassen!

  • Vom Info-Nachmittag zur Berufsausbildung gibt es auch ein Fotoalbum.

10. Januar 2025

Zwei Besucherinnen und rege Diskussionen

Viele Gäste im Café, so dass mehr Stühle herangeschafft werden müssen. Das liegt sicher auch am angekündigten Besuch von zwei besonderen Besucherinnen.

Die Kandidatin der Grünen für den Bundestag, Susanne Floss, war bald von einer Gruppe junger Männer umgeben, und es ergab sich ein lebhaftes Gespräch – ermöglicht durch die Übersetzungsarbeit von Arkan. Ein deutsches Ehepaar war gekommen, weil sie auf die Kandidatin neugierig waren.

Bundestagskandidatin der Grünen, Susanne Floss, zu Gast: Arkan hilft bei der Kommunikation. – Fotos: Freundeskreis Flüchtlinge

Besuch aus dem Elsass gab es aus einem anderen Grund: Gabrielle Meton, eine junge Journalistin der Zeitschrift „Rheinblick“ (von den Zeitungen L’Alsace und Dernières Nouvelles d’Alsace) hatte sich zum Ziel gesetzt, Meinungen zu der Bezahlkarte für Geflüchtete einzuholen. Diese hatte der Ortenaukreis als erster Kreis in Deutschland schon eingeführt; sie soll nach der Neuregelung nun aber bundesweit in stark geänderter Form verpflichtend gemacht werden.

Die Meinungen dazu gingen weit auseinander, und selten wurde im Café so heftig und auch lautstark diskutiert: Während die Ortenaukarte weitgehend positiv beurteilt wurde, stieß die Neuregelung mit ihren Beschränkungen und etlichen Detailregelungen bei einigen Diskussionsteilnehmern auf deutliche Ablehnung.

Sie machten sich vor allem die zahlreichen Argumente der Gesellschaft für Freiheitsrechte zu eigen, die an der Karte nichts Gutes ließen. Überraschenderweise stimmten aber die an der Diskussion teilnehmenden Geflüchteten überwiegend dem engagierten Plädoyer von Afsaneh für die Vorzüge der neuen Karte zu.

Gabrielle Meton, Journalistin aus Straßburg, und Milad kommunizieren mit einer Übersetzer-App.

Wir sind alle auf Gabrielles Artikel gespannt, den sie uns für die Webseite zur Verfügung stellen will.

Außer den üblichen Spielen und Unterhaltungen gab es natürlich noch weitere Themen: Gratulationen zu einer bestandenen Sprachprüfung und zur erfolgreichen Job-Bewerbung sowie, wie fast immer, dringende Bitten um Hilfe bei der Wohnungssuche.

Nita aus Indien sucht immer noch eine Ausbildung als Altenpflegerin. Vielleicht können ihr die beiden für den nächsten Freitag angekündigten Gäste helfen – die beiden „Kümmerinnen“ der IHK und der Handwerkskammer werden, wie bereits zuvor sehr erfolgreich, über Ausbildungsmöglichkeiten für Geflüchtete informieren.

  • Von diesem Nachmittag im Café gibt es ein Fotoalbum.

3. Januar 2025

Sorgen aller Art

Wohnungssuche, Geldsorgen, Beratungsbedarf – das waren die vorherrschenden Themen dieses Café-Nachmittags.

Warum gibt es keine Möglichkeit, den Geflüchteten aus öffentlichen Mitteln Geld, Kleinkredite, zur Verfügung zu stellen – erforderlich meist zwischen 500 und 2000 Euro – damit sie sich dringender Geldsorgen (Kautionen, Möbelkauf u.a.m.) entledigen können? Rückzahlbar in erschwinglichen Raten und ohne Zinsen, natürlich. Unsere Mittel sind begrenzt.

Kein Café-Tag ohne Bitten um Hilfe bei der Wohnungssuche. Wir müssen die Hoffnungen enttäuschen, denn die Chancen, eine 2- oder 3-Zimmerwohnung zu finden, sind mehr als gering. Und die Enttäuschung groß, wenn der Nachzug der Ehefrau und des Kindes bevorsteht.

Arash (links) und Milad haben sich im alten Jahr oft im Café engagiert. Heute gönnen sie sich bei einer Partie Schach mal eine Pause. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge

Da hilft auch die Dringlichkeit nicht, die durch die psychisch-traumatische (Vor-) Belastung eines Kindes entsteht, das in der beengten Massenunterkunft unter Angstzuständen leidet, wenn die alleinerziehende Mutter wegen der Teilnahme an einem Deutschkurs das Kind stundenweise allein lassen muss. Psychotherapeutische Hilfe für Menschen ohne einen Aufenthaltstitel gibt es nicht.

Hin und wieder erfreuliche Nachrichten sind das Ergebnis der Anstrengungen fleißiger und zielstrebiger Geflüchteter: Erfolgreiche Jobbewerbungen, Aussichten auf einen dem eigenen Berufsabschluss halbwegs angemessenen Ausbildungsplatz – wir helfen bei der Abfassung der Schreiben an Behörden und Firmen und freuen uns über die stolz präsentierten Initiativen und Bemühungen.

Und bewundern zum Beispiel den jungen Mann mit schon sehr guten Deutschkenntnissen, der jeden Freitag eine Liste schwieriger Begriffe präsentiert, die er erklärt haben möchte. Was ist „Selbsterkenntnis“? Was bedeuten „nämlich“ oder „Unikat“? Dies einfach zu erklären ist manchmal eine Herausforderung.

Nita aus Indien trägt zu unserer multinationalen Vielfalt bei. Neben ihrer Ausbildung im Krankenhaus betreut sie die Kinder ihrer Nachbarin Afsaneh aus Afghanistan. Ihr gefällt die Atmosphäre unter den rund 55 Gästen, und sie sagt, sie will wieder kommen.