Hadeel

Flucht aus dem kriegsgeschüttelten Land Syrien

Mein Name ist Hadeel Haje Fares, ich bin 20 Jahre alt. Ich bin Syrerin und stamme aus Damaskus. Derzeit besuche ich die 12. Klasse der Maria-Furtwängler-Schule in Lahr. Ich möchte ich von der Flucht meiner Familie in den Jahren 2012 bis 2015 berichten.

Meine Eltern, meine beiden Geschwister Mouayad und Hadia und ich lebten, arbeiteten und gingen zur Schule in Damaskus. Weil der Krieg näher kam, zog meine Familie in die 100 Kilometer entfernte Stadt Shahba in der Nähe von As-suwaida um.

Dort habe ich die 8. bis 10. Klasse absolviert. Meine Schwester Hadia besuchte die Grundschule, mein Bruder konnte wegen einer Behinderung keine Schule besuchen. Nachdem mein Bruder 2015 gestorben war, hat sich die Familie zur Flucht aus Syrien entschlossen.

Der Pkw und die Wohnungseinrichtung wurden verkauft und mit dem Geld wurde die Flucht finanziert. Eine lange und gefahrvolle Busfahrt nach Aleppo und dann nach Afrin an der türkischen Grenze folgte. Die Busfahrt wurde immer wieder durch legale und illegale Straßenkontrollen unterbrochen, jedes Mal mussten für die Weiterfahrt Geldbeträge bezahlt werden.


„Die Zahl der Mitreisenden dezimierte sich dauernd“

Hadeel Haje Fares

Die Zahl der Mitreisenden dezimierte sich dauernd aus den verschiedensten, meist nicht nachvollziehbaren Gründen. Die Straßenkontrollen wurden von legalen Truppen, von der freien Armee (Rebellen), vom Daisch (IS) und von Kurden gemacht.

Endlich in Afrin angekommen, traf man den Schleuser, der den Weg in die Türkei kannte. Für 100 Euro pro Person wurden wir am Abend zur Grenze gebracht, ein bestochener türkischer Grenzer hat nichts gesehen und wir mussten einen Stacheldrahtzaun überwinden. In der Dunkelheit sind wir bis zu einem Auto mit offener Ladefläche gelaufen. Das hat uns in die Nähe einer Bushaltestelle gebracht. Izmir war unser Ziel. Dort haben wir in einem billigen Hotel übernachtet.

Um 4 Uhr in der Nacht wurden wir zu einem Boot gebracht. Mein Vater hat 1100 Euro für die Überfahrt von uns Vier bezahlt. Das Boot war total überladen und auf halbem Weg ging der Motor aus. Die Männer schöpften das eindringende Wasser aus dem Boot. Die Fahrt, die normalerweise in einer Stunde vorbei gewesen wäre, dauerte vier Stunden.

Zu unserem Glück hat uns ein Boot der griechischen Wasserpolizei aufgenommen. Die Beamten haben uns an den Strand der Insel Lesbos gebracht und Plastikdecken verteilt. Wir konnten unsere Kleider trocknen. Wir kamen in den Ort Mytilini. Wir waren in Europa. In Mytilini wurden wir in ein Flüchtlingslager gebracht. Dort hat man uns registriert und unsere Fingerabdrücke genommen. Am nächsten Tag hat unser Vater Tickets für die Fähre nach Piräus gekauft. Wir haben unsere Flucht zur See mit einem Schiff der „Blue Star Ferries“ fortgesetzt. Die Fähre war voll besetzt, viele Geflüchtete waren die Fahrgäste. Wir waren zwölf Stunden auf dem Schiff, bis wir in Piräus ankamen.

Der Zaun in der Sonderausstellung symbolisiert die Gefahren, die Menschen auf sich nehmen, wenn sie aus ihren Heimatländern flüchten. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge

Von da ging es mit dem Bus nach Athen zum Bahnhof. Wir fuhren mit der Bahn zur mazedonischen Grenze. Die Grenze haben wir zusammen mit vielen anderen Geflüchteten zu Fuß überquert. Auf unserem Fußweg haben uns viele Leute vom Straßenrand aus mit Essen, Trinken und auch mit Kleidung und Decken versorgt. Wir wurden willkommen geheißen. An der serbischen Grenze mussten wir einen Tag lang auf unsere Transitpapiere warten. Einmal eingereist, gings zu Fuß weiter. Wir haben am Straßenrand geschlafen, wenn wir nicht mehr weiter konnten.

Auf unserem Weg haben wir und die anderen Geflüchteten – wir waren ja nicht allein unterwegs – alle Dinge, die wir nicht mehr schleppen konnten, weggeworfen. Da lagen überall volle Wasserflaschen, überflüssige Kleidung, weggeworfene Bücher entlang des Weges. Nur die nötigsten Dinge wie unsere Pässe, wichtige Dokumente und Zeugnisse aus der Heimat, haben wir behalten.

Ein sehr positives Erlebnis will ich noch berichten. Natürlich gibt es auf der Flucht auch das ganz normale Bedürfnis des Toilettenbesuchs. Was macht man aber, wenn es keine Toilette gibt? Meine Schwester Hadia und ich haben einfach an einem Haus gefragt, ob wir die Toilette benutzen dürfen. Die Leute waren sehr freundlich und haben uns außerdem noch mit Essen, Trinken und Schuhwerk versorgt.

Nach einer Chaos-fahrt mit dem Zug kamen wir in die Nähe der ungarischen Grenze. Polizei und Armee haben uns empfangen und uns zum Bahnhof gebracht. Mit dem Zug sind wir schließlich durch Ungarn gefahren und kamen zur Grenze nach Österreich.


„Mineralwasser mit Gas kannten wir nicht“

Hadeel Haje Fares

Zu einem Lager in Wien wurden wir mit Omnibussen gefahren. Dort konnten wir zum ersten Mal nach langer Zeit wieder duschen, wir schliefen auf Feldbetten und es ging uns besser. Hilfsorganisationen sorgten für Kleider, Schuhe und Hygieneartikel. Zum ersten Mal gab es W-LAN, für alle sehr wichtig, weil so der Kontakt zu den Familien zu Hause oder auf der Flucht hergestellt werden konnte. Die Ladegeräte für die Smartphones waren ständig überlastet.

Mit dem Bus wurden wir zur deutschen Grenze gefahren. Da warteten wir mit Polizeibegleitung auf Busse, die uns zu einem Lager brachten. Ich meine, es war in der Nähe von Passau. Wir hatten Durst und es gab viele Kisten mit Wasser. Alle haben es versucht, niemand konnte es trinken. Es war Mineralwasser mit Gas, wir kannten so etwas nicht und waren uns sicher, dass man so etwas nicht trinken kann.

Am nächsten Tag haben wir das Lager verlassen und sind nach Garmisch-Partenkirchen zu einer Cousine gefahren. Von dort ging es zu Verwandten nach VillingenSchwenningen und dann ins Erstaufnahmelager in Meßstetten. Nach drei Monaten wurde meine Familie mit weiteren 400 Personen in zwei Turnhallen nach Lahr verlegt.

In dieser Stadt, die auch unsere Stadt geworden ist, leben wir nun seit fast vier Jahren. Hadia und ich machen unsere Schulausbildung, mein Vater bemüht sich um Arbeit und unsere Mutter kümmert sich um den Haushalt.

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