Mirav

Flucht mit zwei Kindern aus Syrien

Mirav ist eine Kurdin aus Aleppo. Sie lebt inzwischen mit ihrem Sohn und ihrer Tochter in Lahr. Sie gehört der zoroastrischen Religion an, die eine Geschichte der Verfolgung durchleben musste und noch immer muss.

Nach Beginn der Bombardierung Aleppos lebte Mirav mit ihrer Familie noch ein Jahr in ihrer Eigentumswohnung in einem Zehnfamilienhaus. Alle Mitbewohner bis auf einen Mann hatten ihre Wohnungen bereits verlassen. Es gab keinen Strom, und bald auch keine Fensterscheiben mehr, da diese unter den Explosionen der Bomben zerborsten waren. Der Weg nach Afrin, wo die meisten Familienangehörigen lebten, war versperrt. Schließlich zog die Familie 2012 ins Haus von Miravs Vater. Einen Tag danach wurde das Haus mit ihrer Eigentumswohnung, das sie gerade verlassen hatten, von einer Bombe getroffen und zerstört.

Miraj lebte acht Monate lang bei ihrem Vater. Dann gelang es ihr, durch einen Nikab als Araberin verkleidet, mit ihren Kindern nach Afrin zum Rest der Familie zu gelangen – auf Umwegen in sieben Stunden für eine Strecke, die man normalerweise in einer halben Stunde bewältigte.


„Misshandlungen Männer und Jungen mit angesehen.“

Mirav

Mirav lebte ein Jahr lang in Afrin, das damals nur gelegentlich von Bomben getroffen wurde. Dann, im April 2015, machte sie sich mit ihrer Familie in einer von einem Schlepper geführten Gruppe auf in die Türkei – zu Fuß.

Nachdem die Frauen und Kinder an der Grenze die Misshandlung der Männer und Jungen durch Schläge mit anschauen mussten, brachte sie ein Kleinbus illegal über die Grenze in die Stadt Kilss. Der Preis: 10 000 syrische Lira (ungefähr 1000 US-Dollar) pro Person.

Nach erneuter Bezahlung gelangten sie mit einem Bus nach Istanbul, wo damals auch ein Teil von Miravs Familie lebte, die aber nach nur begrenztem Aufenthalt die Türkei wieder verlassen mussten.

Mirav und ihr damals zwölfjähriger Sohn mussten arbeiten, um das Geld für einen Schlepper aufzubringen, der um Mitternacht in der Neujahrsnacht 2016 mit dem Schlauchboot 40 Menschen aus dem Land bringen sollte. Eine Gruppe von vier Männern trieben sie in das Schlauchboot, für Schwimmwesten sei keine Zeit, und alles Gepäck musste zurückbleiben, weil das Boot überladen war. Als nach nur zehn Minuten der Motor defekt war, bekam der Bootsführer die Anweisung nicht zurückzukehren. Nachdem die Lage immer bedrohlicher wurde, widersetzte er sich der Anweisung, und mit letzter Kraft, zuletzt im kalten Wasser watend, kamen sie, die fast ausnahmslos nicht schwimmen konnten, zurück ans türkische Festland.

Die Rettungsweste in der Sonderausstellung symbolisiert die Gefahren, die Menschen auf sich nehmen, wenn sie aus ihren Heimatländern flüchten. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge

In einem fensterlosen kalten Haus mussten sie stundenlang in nasser Kleidung warten, bis alle 40 von ihnen, in einen Kleinbus gepfercht, in eine weitere Wohnung transportiert wurden, von wo sie auf eigene Kosten mit dem Taxi nach Istanbul gelangen konnten.

Nach zehn Tagen fand sich ein neuer Schlepper, der auf sofortiger Abreise bestand. Ihr Bruder half Mirav mit Geld. Sie wollte unbedingt nach Europa, wo ihr der Vater ihrer Kinder, von dem sie inzwischen geschieden war, ihr die Kinder nicht wegnehmen konnte. Aber 45 Menschen in einem Schlauchboot! Das erschien nicht nur ihr viel zu gefährlich. Zehn Personen sagten ab, und mit nun noch fünfunddreißig Personen ging es in einen Wald, wo man in mehr als meterhohem Schnee auf das Schlauchboot wartete. Die Fahrt, wieder um Mitternacht, sollte angeblich nur eine halbe Stunde dauern. Nach zwei Stunden setzte Regen ein, weitere fünfeinhalb Stunden vergingen, das Steuer war kaputt und die Wellen wurden immer höher.


„Hoffnung aufs Überleben verloren.“

Mirav

Jemandem gelang es, mit dem Handy die griechische Polizei zu verständigen: Sonntag! Keine Hilfe möglich! Das Wasser im Boot stieg an. Miravs Handy übersetzt: „Ich hatte die Hoffnung auf das Überleben verloren.“ Weil aber einer der Bootsinsassen einen Freund in Griechenland hatte und die GPS-Ortung noch funktionierte, kamen schließlich drei Rettungsboote der Griechen.

Mirav und ihre Kinder hatten seit langer Zeit in Angst und Schrecken gelebt, hatten mit ansehen müssen, wie Menschen misshandelt und sogar vor ihnen erschossen worden waren, hatten Wohnungsdurchsuchungen, Drohungen mit der Schusswaffe, Geschosslärm und Bombeneinschläge ertragen, Hunger und schreckliche Kälte erlitten, fast immer eng aneinander geklammert. Nun hieß es, die Kinder sollten zuerst vom Boot, und Mirav sollte die beiden Kinder loslassen. Sie wurde ohnmächtig.

Nach einer Woche in einem Container auf Samos wurden sie nach Athen gebracht und von dort vom Roten Kreuz nach sechs Stunden in einer Gruppe nach Mazedonien, dann mit Bus und Zug nach Serbien, Kroatien und, durch Slowenien, nach Österreich und schließlich nach Deutschland.

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