Heimfried Furrer

Der Mann mit dem Überblick

Heimfried Furrer zeichnet in seinem Beitrag die Entwicklung des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr von seiner Gründung im Herbst 2014 bis ins Jahr 2020 nach. Den Schwerpunkt seines Beitrags legt er auf das dramatische Jahr 2015.
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Heimfried Furrer erfreut sich am 30. Oktober 2015 in der IBG-Halle zusammen mit vielen anderen an einem Konzert des Jugendmusikwerks Baden für Geflüchtete, das sich später am Abend zu einer Jam-Session entwickelte. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Mit einer Handvoll Leuten, die Deutsch unterrichteten, fing es an. Noch vor der großen Flüchtlingswelle gab es Unterricht in den sogenannten Sozialräumen der Sammelunterkünfte. Nur ein Teil der ehrenamtlichen Unterrichtenden waren LehrerInnen, aber alle einte die Überzeugung, dass die Sprache eine Grundvoraussetzung für die Integration der Menschen aus Georgien, dem Kosovo und Serbien, Gambia und Nigeria, aus Eritrea, Pakistan, Irak und Syrien, aus dem Iran und Afghanistan, ja sogar aus China ist. Und so gemischt die Nationalitäten in den Lerngruppen, so unterschiedlich waren die Lernvoraussetzungen und der Bildungsstand der Menschen, die da zusammen die verteufelt schwierige deutsche Grammatik, manchmal auch erst die lateinische Schrift oder gar das Schreiben überhaupt zu lernen sich abmühten. Für die Lehrer war das Knochenarbeit.

Die „Sozialräume“, in denen man sich zum Deutschlernen traf, tragen diesen Namen eigentlich zu Unrecht: Die meiste Zeit sind sie abgeschlossen, und nur die „Lehrer“ haben einen Schlüssel, der für einen kurzen Teil des Tages beim Unterricht ein soziales Miteinander erlaubt. Möbel, Lernmaterialien und Spielzeug wurden privat angeschafft, und während des Deutschunterrichts konnten auch Kinder zum Spielen die viel zu engen Zimmer ihrer Familien verlassen und hier spielen.

Erinnerungen an 2015: Es war eine Zeit dramatischer Ereignisse – Cosima Lipps

Erinnerungen an 2015: Die Ehrenamtlichen waren total überfordert – Günter Endres

Nicht nur die Situation der Kinder war ein großes Problem. Die wenigen Ehrenamtlichen erkannten, dass es noch vieler weiterer MitstreiterInnen bedurfte, um über den Geflüchteten über den Deutschunterricht hinaus bei ihren zahlreichen Problemen beizustehen.

Startschuss für die Gründung des Freundeskreises Flüchtlinge im Herbst 2014 war dann eine geniale Idee: Ein Benefizkonzert sollte um Geld, vor allem aber um weitere Menschen werben, die mithalfen. Ein afrikanischer Trommler, ein A-Capella-Chor und eine deutsch-kambodianische Singer-Songwriterin fanden sich durch private Verbindungen zusammen. Sie traten ohne Gage auf. Der Erfolg war überwältigend: Der Stiftsschaffnei-Keller war übervoll, mehr als 50 Leute mussten abgewiesen werden. Es wurden mehr als 1700 Euro gespendet. Vor allem aber fanden sich zahlreiche Menschen, die mitarbeiten wollten. Von da an war der Freundeskreis ein Selbstläufer.

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Heimfried Furrer packt mit an bei der Fahrrad-Aktion für Geflüchtete am 7. Juli 2016 auf dem Freigelände des Übergangswohnheims in der Willy-Brandt-Straße. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Die finanziellen Mittel und die neuen MitstreiterInnen ermöglichten zahlreiche Projekte. Ohne Vollständigkeit seien die folgenden, besonders herausragenden, hier genannt: Regelmäßige Spielgruppen für Kinder (in Kooperation mit der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik und dem Rotary-Club über zwei Jahre hinweg), Begrüßungsveranstaltungen für Neuangekommene mit Stadtführungen, Fahrrad- und Verkehrstraining (in Kooperation mit der Verkehrswacht und der Polizei), Erste-Hilfe-Kurse, Schwimmkurse, Fahrradreparaturen, Möbelbau aus Paletten, Säuberung der Außenanlagen, Anschaffung und Zusammenbau von Fahrradständern, Pavillon-Zelten und Tisch-Bank-Sitzgruppen, Feste mit Bewirtung, Musik und Tanz, Vorträge über die Arbeit des FFL, Kontakte mit Schulen und Kindergärten, Schwangeren-Begleitung inklusive Geschenken zur Geburt für Mutter und Baby, Schreiben an Abgeordnete mit Vorschlägen zur Verbesserung von Missständen, die Entwicklung eines Konzeptes für Wohnraumbeschaffung und vieles mehr.

Mitarbeitende Ärzte und Ärztinnen richteten einen Notdienst ein. Beratungen über Gesundheitsfragen und Hygiene wie auch über Sexualität fanden statt. Das Internationale Café wurde als Treffpunkt von Geflüchteten mit Lahrer BürgerInnen gegründet. In der Heimatküche kochte man internationale Gerichte.

Erinnerungen an 2015: Aus Fremden wurden oft gute Bekannte – Charlotte Verrel-Bennecke

Als die hohen Flüchtlingszahlen zur Unterbringung der Geflüchteten in Containern und Turnhallen führten, organisierten die Ehrenamtlichen die Versorgung mit Kleidung und gaben auch hier Unterricht.

Die Flüchtlingsband “The Worlderers”, gegründet und geleitet von Herbie Wickertsheim, erhielt Preise, ebenso wie das neueste Projekt des FFL: stundenweise Unterstützung von Migrantenkindern an Grundschulen bei Sprache und Hausaufgaben.

Eine Ausstellung im Herbst 2019 über Flüchtlinge im Stadtmuseum Tonofenfabrik mit Führungen informierte sechs Wochen lang über viele Aspekte der Flucht wie auch der Herkunftsländer der in Lahr lebenden Geflüchteten. Alle Elemente dieser Ausstellung sind auf der Webseite des FFL zu sehen. Die professionell gemachte Webseite informiert aktuell über die meisten Aktivitäten des Helferkreises.

Schon 2015 erhielt der FFL für sein Engagement den Bürgerpreis der Stiftung Bürger für Lahr. Im Jahr 2019 kam der Ortenauer Integrationspreis für das Grundschulprojekt hinzu. Die mit den Preisen verbundenen Geldsummen halfen, zusätzlich zu den Spenden, die vielseitigen Projekte zu finanzieren.

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Heimfried Furrer erläutert einer Besucherin am Stand des Freundeskreises die Arbeit der ehrenamtlichen Helfer; das Foto entstand am 22. Juli 2017 beim Fest der Kulturen. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Inzwischen leben weit mehr Geflüchtete in der sogenannten Anschlussunterbringung, das heißt in der Regel in normalen Wohnungen außerhalb der Sammelunterkünfte. Viele dieser Wohnungen wurden mit Hilfe der Ehrenamtlichen des Freundeskreises gefunden, mit gespendeten Möbeln eingerichtet, die von ehrenamtlichen Umzugshelfern transportiert wurden. Auch bei der Arbeitssuche halfen in vielen Fällen Mitglieder des FFL.

Die Arbeit des Freundeskreises hat sich mit der neuen Situation geändert. Individuelle Hilfe und Betreuung ist in den Vordergrund getreten. Zinslose Kleinkredite halfen in etlichen Fällen zum Beispiel bei der Anschaffung von Haushaltsgeräten oder beim Führerscheinerwerb.

Inzwischen sind durch die vielen Aktivitäten Kontakte zu anderen Organisationen entstanden. Der FFL ist gut vernetzt, und die gute Zusammenarbeit mit karitativen Organisationen, den Sozialarbeitern und Integrationsmanagerinnen macht die Arbeit leichter und effektiver, ebenso die Akzeptanz bei den Behörden, die Unterstützung durch Unternehmen und die wohlwollende Begleitung der Arbeit durch die Presse.

Erinnerungen an 2015: Die Arbeit mit Flüchtlingen ist bereichernd – Jürgen Siefert

Erinnerungen an 2015: Das ist eine ganz starke Erfahrung – Ina Breig-Köchling

Eines der Ziele des Freundeskreises ist es auch, Geflüchtete zur Mitarbeit zu gewinnen. Immerhin sind inzwischen zwei Geflüchtete in das siebenköpfige Gremium der Sprecherinnen und Sprecher des FFL gewählt worden.

Bei den regelmäßigen Sitzungen des Plenums ist eine neue Struktur eingeführt worden: Die herkömmlichen monatlichen Arbeitssitzungen finden nur noch alle zwei Monate statt, die Treffen dazwischen sind jeweils einem Thema gewidmet. Dabei geht es um Vorträge, Diskussionen mit Fachleuten, Bearbeitung eines wichtigen Themas und viel mehr.

Etliche der noch heute aktiven Mitglieder des FFL sind als “Helfer der ersten Stunde” von Anfang an dabei. Einigen von ihnen erinnern sich an das Jahr 2015, als sehr viele Geflüchtete nach Deutschland und schließlich auch nach Lahr kamen.


Fünf Erinnerungen an 2015

Info: Wer sich die insgesamt sechs Texte über das dramatische Jahr 2015 lieber gemütlich im Lesesessel statt am Computer zu Gemüte führen will, kann sie sich auch ausdrucken. Einfach das Drucken-Symbol am Ende der Seite betätigen.

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