Die Kümmerin um Frauen und Kinder
Natürlich hat sich Ina-Breig-Köchling auch um Männer gekümmert, besonders um junge, mit denen sie besonders gut klar kam. Aber eine Frage interessierte sie ganz besonders: Wie kommen die Frauen und Kinder nach ihrer Flucht in Deutschland klar?
Die Nachrichten in der Presse überschlugen sich. Der Grund: Der Flüchtlingsstrom schwoll an, es kamen immer mehr Geflüchtete auch nach Lahr in die Übergangswohnheime in der Geroldsecker Vorstadt und in die Willy-Brandt-Straße. Ich dachte mir: Da kannst du sicherlich helfen. Ich habe in der Geroldsecker Vorstadt meine Hilfe angeboten und bin noch am gleichen Tag in die Flüchtlingshilfe eingestiegen.
Ich lernte zuerst einen Syrer kennen, der kein Wort Deutsch oder Englisch sprach. Am ersten Tag half noch sein Neffe aus, der meine Fragen übersetzte. Schon vom nächsten Tag an traf ich den Mann täglich im Aufenthaltsraum zum Deutschunterricht. Da ich gut zeichnen kann, hatte ich erst einmal viele Begriffe bildlich dargestellt. Zunächst mussten wir erst einmal das ABC lernen. Das ging erstaunlich schnell. Sehr bald schon konnte er Sätze mit zwei Worten. Der Syrer war so wissbegierig und intelligent, dass er sehr schnell lernte. Er hatte eine Frau und vier Töchter in Syrien und die wollte er so schnell wie möglich nach Deutschland holen. Dank WhatsApp lernte ich die Familie aus der Ferne kennen.
Mit dieser Aufgabe war ich noch nicht ausgelastet. Deshalb bot meine Hilfe auch im Übergangswohnheim in der Willi-Brandt-Straße an. Mich hatte natürlich auch sehr interessiert, wie die Frauen in Lahr klarkommen und was mit ihren Kindern ist. Und vor allem: Wie steht es um ihre Sprachkenntnisse? Dort bin ich mit offenen Armen aufgenommen worden. Die Frauen freuten sich, dass ich mich für ihre Situation interessierte. Als ich dann merkte, dass sie kein Wort Deutsch wirklich verstanden, habe ich wieder gezeichnet und mit Bildern gearbeitet. Das ging ganz gut. Mir wurde schnell klar, dass ich den Frauen helfen musste, die Sprache ihres Gastlandes zu lernen.
Dabei gab es einiges zu bedenken. Mir fiel auf, dass Frauen sich aus gemischten Lerngruppen wieder zurückgezogen. Deshalb habe ich reine Frauengruppen angeboten. Da sind wir im kleinen Kreis zusammen gesessen, haben Tee getrunken und über Themen gesprochen, die Frauen interessieren. Eine von ihnen konnte immer etwas Deutsch oder Englisch und hat sich bemüht, das Gespräch für die anderen Frauen zu übersetzen. Ich musste erst einmal begreifen, dass sich Frauen aus unterschiedlichen Ländern und mit verschiedenen Sprachen untereinander auch nicht unbedingt verstehen konnten. Wenn sprachlich gar nichts geklappt hat, hatte ich immer meinen Zeichenblock und Stifte parat und konnte auf diese Art darstellen, was gemeint war. Oft gab es dabei großes Gelächter. Das waren die Momente, die mir immer eine besondere Freude bereiteten.
Als der Wunsch auftauchte, einmal gemeinsam zu kochen, ging ich mit fünf Frauen zu Aldi und Lidl, damit sie sich umsehen und mit den deutschen Lebensmitteln vertraut machen konnten. Zudem hatte ich Schautafeln mit den Lebensmitteln gemalt und beschriftet, die wir für die Gerichte benötigen würden. Zuvor hatten wir sie auch in die jeweiligen Landessprachen übersetzt.
Noch etwas: Die Redewendung ,Steter Tropfen höhlt den Stein‘ trifft zu. Wir hatten manchmal über Wochen hinweg immer wieder die gleiche Lektion geübt. Das hat dazu geführt, dass sie auf einmal gesessen hat. Dann konnten wir im Lehrbuch die nächsten Seiten bearbeiten. Mir hat das unglaublich viel Freude gemacht, auch deshalb, weil ich merkte, wie das Vertrauen zu mir immer mehr zunahm, keine Skepsis mehr vorhanden war und wir einfach auch mal fröhlich miteinander zusammen sein konnten.
Einige Familien zogen dann irgendwann aus dem Übergangswohnheim aus, weil sie eine eigene Wohnung bekommen hatten. Das tat mir dann immer etwas weh, denn wir hatten uns so aneinander gewöhnt und ich hatte die Kinder so ins Herz geschlossen. Einige der Geflüchteten bekamen eine Arbeit und waren dann regelmäßig außer Haus, sie kamen erst mittags oder abends wieder zurück. Einige der Männer sprachen auch über neue Bekanntschaften, die sie außerhalb des Flüchtlingsheims gemacht hatten.
Ich habe auch bemerkt, dass ich zu den ganz jungen Männern einen ganz besonderen Draht hatte. Mein vorheriger Beruf in der sozialen Arbeit mit Straftätern hat vielleicht dazu beigetragen, meine Erfahrung konnte ich im Umgang mit jungen Geflüchteten gut einsetzen.
Bei der Arbeit mit Geflüchteten habe ich nicht den Kopf eingesetzt, sondern ich habe in jeder Situation mein Herz entscheiden lassen. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich so am weitesten komme. Das Vertrauen der Menschen aus fremden Ländern konnte ich so gewinnen, kleine Freundschaften wurden geknüpft.
Zwischenzeitlich hatten die Flüchtlinge herausbekommen, dass ich Künstlerin bin. Ich brachte deshalb auch Mengen an Farben und Buntstiften mit in die Flüchtlingsunterkünfte. Über die „Malerei“ kam ich den Menschen noch näher. Mit Kindern und einer Freundin zusammen habe ich in einem Heim in der Geroldsecker Vorstadt einen Raum ausgemalt. Die Kinder und Jugendlichen waren mit Begeisterung dabei und haben gekonnt mit den Farben jongliert.
Im Heim in der Willy-Brandt-Straße sind wir oft zusammen gesessen, haben gemalt, gezeichnet und gekocht. Dabei konnte ich von den Frauen einiges lernen, denn Kochen ist nicht so mein Metier. Ich habe sogar eine ganze Gruppe von Geflüchteten aktivieren können, für unseren Kunstverein L’Art pour Lahr aus Papier Boote zu falten, die über den Jahreswechsel in der Galerie als Installation zu sehen waren.
Ist das nicht etwas, was viele von uns vermissen? Das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Füreinander-da-Sein? Zu erfahren, dass da noch andere Menschen sind, vielleicht komplett Unbekannte, denen das eigene Schicksal nicht egal ist – das ist eine ganz starke Erfahrung, ein großes Geschenk. Viele Lahrer haben denn auch mitgeholfen, den Geflüchteten das Einleben in Lahr nach der Flucht durch ihr Engagement etwas erträglicher zu machen. Für mein Leben war es auf jeden Fall eine große Bereicherung, so viele Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund kennengelernt zu haben.
Erinnerungen an 2015
- Heimfried Furrer: Der Mann mit dem Überblick
- Cosima Lipps: Die Vermittlerin der deutschen Sprache
- Günter Endres: Der Ansprechpartner für eine ganze Familie
- Charlotte Verrel-Bennecke: Die Helferin, der Fremdheit vertraut ist
- Jürgen Siefert: Der Mann für alle Fälle
Info: Wer sich die insgesamt sechs Texte über das dramatische Jahr 2015 lieber gemütlich im Lesesessel statt am Computer zu Gemüte führen will, kann sie sich auch ausdrucken. Einfach das Drucken-Symbol am Ende der Seite betätigen.
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