Jürgen Siefert

Der Mann für alle Fälle

Jürgen Siefert hat sich bereits seit 2011 für Geflüchtete engagiert. Es gibt nichts, was er in dieser Zeit nicht gemacht hätte. Es gibt keine Flüchtlingsunterkunft, die er nicht von innen gesehen hat. Seine Erfahrungen mit den Geflüchteten waren meist positiv und für ihn selbst bereichernd.
Jürgen Siefert (rechts) erklärt geflüchteten Chinesen die Uhrzeit; das Foto entstand am 5. September 2015 beim Möbelbau aus Paletten auf dem Hof des Wohnheims in der Willy-Brandt-Straße. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Jürgen Siefert ist nach einem abwechslungsreichen Arbeitsleben, das den gelernten Altenpfleger schon mit den verschiedensten Tätigkeitsfeldern vertraut gemacht hat, nun seit elf Jahren in Rente. Doch in seinem Rentnerleben war nie Ruhe, und auch von Stillstand kann keine Rede sein.

Beim Lahrer Suppenfest 2011 bot er der Sozialarbeiterin Petra Wieber und der damaligen Heimleiterin Silvia Abbes vom Landratsamt seine Mitarbeit an – und war bald schon Anlaufstelle und „Mann für alles“ für die Geflüchteten. Damals, vier Jahre vor Beginn der sogenannten Flüchtlingswelle, war in der Geroldsecker Vorstadt 63, der einzigen Sammelunterkunft für Flüchtlinge, Petra Wieber die einzige Sozialarbeiterin und Jürgen, neben der aus dem Irak geflüchteten Sana Alyaaqubi, der einzige ehrenamtliche Helfer.

Aus der Hausaufgabenhilfe für die drei Kinder einer irakischen Familie wurde sehr bald eine Rundumbetreuung für zahlreiche Geflüchtete, die damals vor allem aus dem Vorderen Orient und aus Osteuropa kamen. Ohne fachliche und sprachliche Kenntnisse, aber voll energiegeladenem Optimismus – und mit Hilfe von Handy-Übersetzungen – begleitete er Geflüchtete zu Behörden, oft nach Offenburg, zum Arzt oder Zahnarzt, fuhr Kinder in die Schule, half bei der Orientierung in Lahr und beim Einkauf, besorgte Kleidung und Hausratsgegenstände.

Jürgen Siefert (links) im Gespräch mit Heimfried Furrer beim Dankeschönfest der Stadt am 30. September 2016 – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Er organisierte Kinderfeste und führte dann die Gespräche mit den deutschen Nachbarn, die sich über den Lärm beschwerten. Er fütterte Kinder, half beim Lernen auf die Führerscheinprüfung, zeigte geflüchteten Christen die Lahrer Kirchen und betreute auch die Menschen, die es in der Anschlussunterbringung bis nach Dörlinbach verschlagen hatte. Als Gitarrist und Sänger wirkte er gelegentlich in Herbie Wickertsheims Flüchtlingsband The Worlderers mit. Mit vier jungen eritreischen Frauen, die ihn als eine Art Vater ansahen, verabredete er sich zum sonntäglichen Kirchgang und zu Waldspaziergängen.

Er erinnert sich an unzählige überraschende Begebenheiten, die er nie vergessen wird: Wie zum Beispiel der junge Nordkoreaner, der es in einer sechsmonatigen Flucht durch China nach Lahr geschafft hatte, vor den Bildern der Stationen des Kreuzwegs in einer Kirche voll religiöser Ergriffenheit in die Knie sank. Oder wie beim Spaziergang eine Eritreerin verwundert fragte, warum kein einziger Polizist zu sehen sei. Mit verschmitztem Lächeln berichtet er über Begleitungen zum Frauenarzt, die Besorgung von Schwangerschaftstests in der Apotheke, ja über Sexualaufklärung, die er zu leisten hatte.

Jürgen hat im Lauf der Zeit gelernt, dass er nicht zulassen darf, dass man seine Hilfsbereitschaft überstrapaziert. Wo es geht, selber machen! Das ist seine Devise für die Geflüchteten. Er weiß, dass ohne seine verständnisvolle Frau, die selbst in einem Sozialberuf arbeitet, sein Engagement von sechs bis acht Stunden täglich nicht möglich gewesen wäre.

Jürger Siefert (rechts) packt am 5. September 2015 mit an beim Möbelbau aus Paletten auf dem Hof des Wohnheims in der Willy-Brandt-Straße. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Seine Erfahrungen mit den Geflüchteten waren meist positiv und für ihn selbst bereichernd. Aber wenn eine geflüchtete Frau schwanger wurde, bevor sie ihre Schule oder Ausbildung beendet hatte, dann betrachtete er das als enttäuschenden Rückschlag. Enttäuschungen bereiteten ihm auch die (wenigen) Behördenvertreter, die die ehrenamtliche Arbeit nicht zu schätzen wussten, ja als lästig empfanden.
Dagegen schätzt er die Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe im Freundeskreis Flüchtlinge Lahr, unter dessen Mitgliedern er Freunde gewonnen hat.

Was sich in den Jahren seiner Arbeit geändert hat? Mehr Flüchtlinge sind gekommen, mehr Afrikaner und weniger Menschen aus Vorderasien, überhaupt andere Menschen, zu denen Jürgen Siefert jetzt nicht mehr so intensive Beziehungen hat wie früher. Es gibt jetzt auch nicht mehr so viele Einladungen von Geflüchteten zum Essen. Er ist jetzt verstärkt in der Behinderten- und Altenbetreuung tätig, hat aber noch Kontakt zu zahlreichen seiner früheren Schützlinge.

Jürgen Siefert ist ein durch und durch sozial eingestellter Mensch, der durch seine Erfahrung und als Vorbild bei seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in besonders hohem Ansehen steht.


Erinnerungen an 2015

Info: Wer sich die insgesamt sechs Texte über das dramatische Jahr 2015 lieber gemütlich im Lesesessel statt am Computer zu Gemüte führen will, kann sie sich auch ausdrucken. Einfach das Drucken-Symbol am Ende der Seite betätigen.

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