Charlotte Verrel-Bennecke

Die Helferin, der Fremdheit vertraut ist

Charlotte Verrel war als Zugewanderte selbst einmal eine Fremde in Lahr und musste sich in der Stadt erst einmal integrieren. Zudem hat sie die Erfahrung gemacht, wie hilfreich es sein kann, wenn man im Ausland von Einheimischen unterstützt wird.
Charlotte Verrel-Bennecke prüft, was der Freundeskreis beim Fest der Kulturen am 22. Juli 2017 an seinem Stand an Kulinarischem anbietet; neben ihr Ali Rahman – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Welche Erinnerung habe ich an die Anfänge des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr? Was brachte mich dazu, ein paar Jahre lang so intensiv an diesem Projekt mitzuarbeiten? „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“ – Dieser Satz von Karl Valentin gefällt mir. Denn Fremdheitsgefühle und die Erfahrung, Fremdheit verringern, vielleicht überwinden zu können, kenne ich aus meinem eigenen Leben. Ich bin vor 75 Jahren, am Ende des Zweiten Weltkriegs, geboren. Meine Eltern landeten als Flüchtlinge eher zufällig in einer Stadt, in der sie nicht recht heimisch wurden, und ich auch nicht. Andererseits gehöre ich zu dieser ersten Generation nach 1945, die im Frieden aufgewachsen ist.

Ich hatte das Glück, freiwillig fremde Sprachen lernen, freiwillig ins Ausland gehen zu können, unter anderem für ein paar Jahre als Deutschlehrerin nach Rumänien und Frankreich. In Frankreich habe ich erfahren, welchen Reiz das Kennenlernen einer fremden Sprache und Kultur haben kann, wenn die Bedingungen günstig sind. In Rumänien, damals zu Zeiten des Diktators Ceaucescu, habe ich erfahren, wie schmerzhaft fremd man sich sogar als freiwillige Migrantin in der sprachlichen und kulturellen Fremde fühlen kann. Und wie hilfreich es sein kann, wenn man beim Erlernen der neuen Sprache und Lebensweise von Einheimischen unterstützt wird.

Seit 40 Jahren lebe ich in Lahr. Auch hier, in der mir zunächst fremden südbadischen Region, hatte unsere noch junge Familie wertvolle Integrationshelfer – Menschen, die sich für uns „Zugeloffene“ interessierten und Lust hatten, uns die hiesigen Besonderheiten zu zeigen und zu erklären. Dazu kamen: Kontakte durch den Beruf, Kontakte durch Kindergarten und Schule, Kontakte durch den damals neu gegründeten Kulturkreis Lahr. So wurden wir allmählich heimisch in dieser Stadt. Bei meiner Tätigkeit an der Volkshochschule in den Fachbereichen Sprachen und Kulturen, vor allem im Bereich Deutsch als Fremdsprache, konnte ich einige meiner Erfahrungen mit der Fremdheit und ihrer Überwindung nutzen.

Charlotte Verrel-Bennecke (rechts) beim Dankeschönfest der Stadt Lahr am 30. September 2016 im Gespräch mit dem damaligen Leiter des Amts für Soziales, Schule und Sport, Günter Evermann – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Was hat das alles mit dem Aufbau des Freundeskreises Flüchtlinge zu tun? Sicher nicht zufällig wurde ich 2014/2015 aktiv, in der Zeit, als mit den Pegida-Demos eine erschreckende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland öffentlich grell sichtbar wurde. Gewalttaten gegen Flüchtlinge nahmen zu. Die Flüchtlinge kamen ja aus uns wenig bekannten Kulturen, sie sprachen Arabisch, Kurdisch, Urdu, Tigrinya – für Europäer besonders fremde Fremdsprachen. Fast alle hatten eine dunklere Hautfarbe als die Einheimischen. Die Flüchtlinge waren und sind für manche Menschen sicherlich die fremdesten Fremden. – Die zunehmende Fremdenfeindlichkeit schien zunächst das Leben in unserer Stadt nicht zu berühren. Von den allmählich in größerer Zahl in Lahr untergebrachten Flüchtlingen war hier im Jahr 2014 kaum die Rede, in der Öffentlichkeit, in den Zeitungen nicht, in stadtpolitischen Verlautbarungen nicht. Auch ich selbst, schon eine Weile im Ruhestand und hier und da ehrenamtlich tätig, hatte keine Ahnung davon, wie viele geflüchtete Menschen in Lahr eigentlich genau lebten, woher sie gekommen waren, wie es ihnen ging.

Bei Gesprächen mit anderen wurde mir dann klarer, warum diese Fragen mich jetzt beschäftigten. Auch wenn für die Unterbringung und Betreuung der Lahrer Flüchtlinge das Landratsamt, der Ortenaukreis, „von Amts wegen“ zuständig war, so waren dies doch Menschen, die bei uns, in unserer Stadt lebten. Was, wenn auch hier ablehnende, fremdenfeindliche Stimmen laut würden ? Wenn es Übergriffe gäbe? Gemeinsam mit einigen anderen wollte ich mich für die Flüchtlinge in unserer Stadt einsetzen. Wir wollten zeigen, dass sie uns willkommen waren.

Wir erfuhren, dass es in den beiden Häusern der Gemeinschaftsunterkunft in der Geroldsecker Vorstadt schon zwei, dann drei ehrenamtlich Aktive gab. Sie unterrichteten Deutsch und halfen bei Alltagsproblemen, in Absprache mit den beiden hauptamtlichen Sozialarbeiterinnen des Landratsamts. Schnell wurde deutlich, dass mehr Unterstützung nötig war, beim Deutschlernen, bei der Begleitung der in großer Enge und und oft auch Orientierungslosigkeit lebenden Flüchtlingsfamilien. Die Kinder hatten keinen Platz zum Spielen, die Gemeinschaftsküchen und Flure, das Gelände um die Häuser herum sah trostlos aus. Es gab so viel zu tun, und es fehlten weitere Helfer.

Charlotte Verrel-Bennecke (rechts) hilft am 5. September 2015 mit beim Möbelbau aus Paletten im Hof des Übergangswohnheims in der Willy-Brandt-Straße. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Wir halfen beim Deutschunterricht, sprachen Freunde und Bekannte an. Waren bald 20 Ehrenamtliche. Nannten uns „Freundeskreis Flüchtlinge (in) Lahr“. Organisierten im Januar 2015 ein Benefizkonzert, dessen großer Erfolg uns Mut machte. Schrieben Artikel für die Zeitungen, um für unser Projekt zu werben. Schickten Mails herum, luden zu Infoabenden für zukünftige Deutschlern-Begleiter ein, beschafften Bücher und Material zum Deutschlernen, gaben Unterricht,vermittelten Sprachpatenschaften, organisierten Spielgruppen für die Kinder und vieles mehr. Jede und jeder brachte ein, was sie/er konnte und was gebraucht wurde.

Es war eine beflügelnde Aufbruchsstimmung, voller Begeisterung, Neugier, Phantasie und Tatendrang. Wir waren viele! Jüngere und Ältere machten mit, Alt-Einheimische und selbst vor Zeiten nach Lahr Zugewanderte, aus Irland, Sudan, Irak, Frankreich. Wir lernten die Geflüchteten (besser) kennen, und uns andere Ehrenamtliche auch. Aus Fremden wurden oft gute Bekannte, aus guten Bekannten Freunde. Es entstanden – das alles ist gut dokumentiert auf dieser Webseite – zahlreiche Projekte, Initiativen und Patenschaften, die bis heute bestehen. Und natürlich kriselte und krachte es auch von Zeit zu Zeit. Wir sprachen nicht nur den Geflüchteten Mut zu, sondern auch uns gegenseitig.

Dabei wurde mit der Zeit immer klarer, dass wir als ehrenamtlich Aktive bei vielen Themen nur gemeinsam mit den vielen hauptberuflich Tätigen unserer Stadt, die direkt oder indirekt mit den Flüchtlingen zu tun hatten und haben, voran kommen konnten – den Verantwortlichen in den Ämtern der Stadt, dem Landratsamt, den Gemeinderatsfraktionen, der Diakonie, der Caritas, dem Roten Kreuz, der Volkshochschule, den Kindergärten und Schulen, den Arztpraxen, den Betrieben, den Zeitungen, den Vereinen, den Kirchengemeinden, den sozialen Kaufhäusern, den Banken, dem Interkulturellen Beirat, dem Jobcenter und an vielen Stellen mehr. An diesen Kontakten haben wir gearbeitet, und sie sind weiter sehr wichtig. Wir waren und sind froh, auf wie viel Wohlwollen und Kooperationsbereitschaft wir immer wieder trafen und treffen.

Das Ehepaar Verrel-Bennecke am 23. Dezember 2017 beim Adventstreff auf dem Schlossplatz im Gespräch mit Herbie Wickertsheim (Mitte) – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Und heute? Hat sich in den letzten fünf Jahren bei uns das Zusammenleben mit den Geflüchteten durch die Arbeit des Freundeskreises verändert? Hat sich in manchen Einrichtungen unserer Stadt ein offenes Klima tiefer verankert? Haben die aus der Fremde Zugewanderten heute bessere Chancen, sich in der neuen Umgebung zu orientieren, Ansprechpartner und Unterstützung zu finden, Hilfe bei Arztbesuchen, Ämtergängen, Ansprechpartner und Beratung beim Deutschlernen, der Ausbildung, der Wohnungs- und Arbeitssuche? – Ich glaube ja. Und deshalb bin ich froh, dass es weiter viele, auch neue, Aktive im Freundeskreis Flüchtlinge Lahr gibt. Sie werden weiter gebraucht. Denn: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“ Nur durch viele persönliche Kontakte mit den neu Angekommenen kann Vertrauen aufgebaut und Fremdheit erfolgreich verringert werden. Und Erfolge gibt es ja zum Glück immer wieder: Nicht wenige der vor fünf Jahren zu uns Gekommenen haben inzwischen eine Ausbildung gemacht, eigene Wohnungen und Arbeit gefunden. Sie sind auf gutem Weg, hier heimisch zu werden.


Erinnerungen an 2015

Info: Wer sich die insgesamt sechs Texte über das dramatische Jahr 2015 lieber gemütlich im Lesesessel statt am Computer zu Gemüte führen will, kann sie sich auch ausdrucken. Einfach das Drucken-Symbol am Ende der Seite betätigen.

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