Zeit für einen persönlichen Rückblick

 

Es fing alles ganz harmlos an

Als die große Flüchtlingswelle 2015 bei uns hier eintraf, waren meine Frau Trudy und ich uns schnell einig, dass wir helfen wollten. Wir meldeten uns beim Freundeskreis-Flüchtlinge Lahr als ehrenamtliche Deutschlehrer an und begannen gleich mit zunächst grammatikfreiem Deutsch-Smalltalk. Es machte Spaß und es kam was zurück, fröhliche Gesichter und dankbare nonverbale Gesten. Wir waren auf dem richtigen Weg. Es fühlte sich gut an.

Ich begann, hunderte Telefonnummern von Flüchtlingen auf meinem Handy zu sammeln und gab dieser Gruppe über Whatsapp kleine Deutsch-Aufgaben. Kleider, kleine Möbelstücke, Spielzeug für die Kinder zu besorgen, lag nahe. Jemand der einen Transporter besitzt – wie ich -, hat automatisch viele Freunde und so wurden bald auch richtige Möbeltransporte daraus.

Einmal holten wir bei einem Landwirt in Kuhbach ein komplettes Schlafzimmer für eine Flüchtlingsfamilie, die schon eine Wohnung hatte. Der beschenkte Afghane bedankte sich artig bei dem Bauern und fragte mich auf dem Heimweg: Herbie, was heißt „s’isch schu recht“? Ich erklärte ihm ein bisschen von unserem badischen Dialekt und setzte gleich noch einen drauf. „Wenn Du wieder etwas brauchst, sagst Du: „Herbie, dädsch ma nit . . .“. Das hat er gleich auswendig gelernt und er wendet es auch heute noch bei jeder Gelegenheit an. Wir haben viel Spaß miteinander.

Trudy Wickertsheim bringt geflüchteten Frauen das Fahrradfahren bei. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

 

Heute, nach fast zwei Jahren, hat sich vieles verändert in der Arbeit mit den Geflüchteten. Vielfältig sind die Wünsche der Jungs und Familien. Der eine will etwas bei Ebay kaufen und braucht dabei Hilfe. Inzwischen können sie besser Deutsch und man kann sich richtig mit ihnen unterhalten. Gegenseitige Einladungen zum Essen werden ausgesprochen, wir machen zusammen Musik, drehen Videos und sind uns nah gekommen als neue Freunde.

Über Whatsapp schicke ich jetzt Zeitungsausschnitte mit Wohnungsangeboten an die Gruppe, auch mal ein Foto vom Bildschirmtext, wenn irgendwo etwas Schlimmes oder etwas Interessantes passiert ist.

Meine Frau übt mit Flüchtlingsfrauen, Rad zu fahren. Viele von ihnen sind noch nie auf so einem Drahtesel gesessen und haben große Gleichgewichtsprobleme. Eines der Räder wurde einfach als Erwachsenen-Laufrad umgebaut, damit ging es schon besser und wieder sah man strahlende Gesichter, wenn sie es dann plötzlich gecheckt hatten. Es war so ein gutes Gefühl, an dieser Freude teilzuhaben.

Nicht alles klappt natürlich. Einer der Geflüchteten zum Beispiel, ein Iraner, möchte gerne Bademeister werden. Ich lernte ihn im Sommer bei einem Schwimmkurs, den ich für Flüchtlinge im Terrassenbad angeboten habe, kennen. Ein super Schwimmer. Er hatte sich schon erkundigt, welche Voraussetzungen er erbringen muss, um als Bademeister ausgebildet werden zu können. Grundvoraussetzung war, sagte man ihm, dass er das DLRG-Silber-Abzeichen hat.

Da ich aus meiner Zeit als Lehrer noch den Prüferausweis vom Deutschen Sportbund hatte, habe ich mich bereit erklärt, bei ihm diese Prüfungen abzunehmen. Er war super, schaffte die Prüfungen mit links, ich ließ mich von ihm retten und abschleppen und wiederbeleben. Als es an die Theorie ging, mussten wir aber erfahren, dass die ganze Arbeit für die Katz war, denn um die DLRG-Prüfungen abzunehmen, braucht man den DLRG-Lehrschein, mein Sportprüferausweis nützte da gar nichts.

Aber die Geschichte ging dann doch noch gut aus, denn ich konnte ihn in der DLRG-Ortsgruppe Lahr anmelden, wo er jetzt Mitglied ist. Die Sache nimmt jetzt ihren Lauf.

Herbie Wickertsheim (Zweiter von links) und Geflüchtete sammeln bei einer Putzete Müll ein. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

 

Mein aktuelles Sorgenkind ist die Führerschein-Lerngruppe. Die Leute, die persisch sprechen, müssen die theoretische Führerscheinprüfung auf Deutsch machen, während andere Nationalitäten das in ihrer eigenen Sprache machen dürfen. Warum das so ist, wissen wir nicht.

Über Whatsapp und in Gesprächen mit diesen Menschen haben sich sehr viele dafür interessiert und wir haben alles organisiert: Die Fahrschule Rogowski war so freundlich, uns einen Satz mit den Führerscheinfragen zu überlassen, den wir für die Gruppe kopieren durften. Ein Sozialraum war für uns reserviert; als Termin einen Abend zu wählen, schien uns vernünftig, denn viele haben ja Arbeit.

Ein Beamer stand bereit, um die Lern-Videos in der Fahrschul-App an die Wand projizieren zu können. Dann war der Termin da und es kamen . . . zwei. Eine Woche später war es nur noch einer. Wenn wir fragten, woran das liegt, bekamen wir zur Antwort, dass viele Geflüchtete nachts bei DHL oder Zalando arbeiten und sie baten uns, den Kurs doch sonntags zu machen, da hätten sie Zeit.

Zum ins Auge gefassten Sonntagstermin war dann allerdings zu hören: Nein, sonntags geht es bei uns nicht, da haben unsere Kinder Fußballturniere. Oh Mann, dachte ich, die sind ja schon richtig integriert. Wir bleiben aber dran.

Herbie Wickertsheim