Ein ganz spezieller, ungewöhnlicher Punkt im Sommerprogramm des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr war das Literaturgespräch, zu dem Mustafa Onur und Yunus Elmas am Samstag, 30. August 2025 eingeladen hatten. Die Lektüre zweier Texte und Diskussion über sie hatten die Organisatoren bei einem Treffen vorgesehen, zu dem sie den Grillplatz am Tretenhof in Seelbach reserviert hatten.
Die beiden Organisatoren von der Ortenauer Kulturplattform e.V. sind den Mitgliedern des Freundeskreises nicht nur als Gäste des Café International wohlbekannt: Mustafa Onur als Mitarbeiter in der Fahrradwerkstatt und Mit-Organisator des Standes auf dem Markt der Kulturen und Yunus Elmas unter anderem als Teilnehmer – mit seiner Frau Hatice – am Suppenfest. Das junge türkische Ehepaar war schon wiederholt in den lokalen Zeitungen vorgestellt worden.
Titelfoto: privat
Die Teilnehmer des Literaturgesprächs haben von Ömer Dincer besonders schöne Namensschilder bekommen.
Zwei Texte amerikanischer Autoren waren zum Beginn des Projekts, das fortgesetzt werden soll, vorgegeben worden: die Kurzgeschichte „Der Kaktus“ von O.Henry und die Fabel „Der Tiger, der König sein wollte“ von James Thurber. Beide Texte lagen den Teilnehmern sowohl im englischen Original als auch in türkischer und in deutscher Übersetzung vor.
Elf Teilnehmer, zwei ukrainische, drei deutsche und sechs türkische, saßen also in der Hütte am Grillplatz zusammen. Zu Beginn gab es eine lange Lesephase, etwas überraschend für diejenigen, die sich vorbereitet und die Texte schon intensiv gelesen hatten. Der Text vom Tiger wurde auf Türkisch, auf Deutsch und von einem türkischen Englisch-Lehrer auf Englisch gelesen.

Leider war es ungemütlich kalt geworden, und man war froh, mit dem Gespräch beginnen zu können. Das war schwierig aufgrund der Sprachhürden, und Yunus hatte die schwer lösbare Aufgabe, die teilweise langen Wortbeiträge in die jeweils andere Sprache zu übersetzen. Dadurch konnten etliche Aspekte nur angerissen und nicht vertieft werden. Und Einiges blieb unverständlich, zum Beispiel: Wie war der Beitrag des türkischen Psychologen zum Thema Erziehung und Down-Syndrom zu verstehen und in seinem Bezug zur Fabel einzuordnen?
Immerhin kamen das Thema der männlichen Eitelkeit und des rücksichtslosen Machtstrebens und damit der politische Gehalt und die Übertragbarkeit auf reale heutige Despoten zur Sprache. Alla Kulykovskya beeindruckte allerdings mit ihrem vehement vorgetragenen Beitrag, dass die Parallelen der Geschehnisse in der Fabel nur teilweise auf moderne Kriege übertragbar seien, auf jeden Fall nicht auf die Situation der von russischen Truppen überfallenen Ukraine.
Es war ein fruchtbarer und vielversprechender Beginn eines interkulturellen Dialogs über Literatur, der unbedingt fortgesetzt werden sollte. Mit ein paar organisatorischen Veränderungen wird man zur Vertiefung der Diskussion kommen.
Mit herzlichem Dank an die beiden Organisatoren, die auch für Getränke und Snacks gesorgt hatten, vor allem auch an Ömer Dincer endete das Treffen nach drei Stunden: Ömer schenkte jedem der Teilnehmer einen Karton mit dessen Namen in wunderschöner kalligraphischer Schrift.

Die Auswahl der Texte, „Der Kaktus“ von türkischer Seite, „Der Tiger, der König sein wollte“ von deutscher Seite vorgeschlagen, erwies sich erst im Nachhinein und nach intensiver Beschäftigung mit ihnen als glücklicher Zufall: Der Egozentrismus, die Eitelkeit, das prahlerische Dominanzgehabe auf der individuellen und die Überheblichkeit und Selbstüberschätzung des männlichen tierischen Machtrivalen auf der gesellschaftlichen Ebene sind beide Ursachen von Katastrophen: Scheitern der Liebesbeziehung auf der einen, Untergang einer ganzen Population auf der anderen Seite.
Und beide geben Anlass, über die Rolle aktueller Autokraten nachzudenken: Erdogan, Putin und Trump, zum Beispiel, wie die Protagonisten der beiden Texte eigentlich schwache, ja fast lächerliche Persönlichkeiten, richten durch ihren Machthunger und ihre Selbstüberschätzung immensen Schaden an. Kann man auch Hitler in die Reihe einordnen?
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