Handball beschleunigt die Integration

Der 25-jährige Yazan Albkairats, der wegen des Krieges aus Syrien geflohen ist, hat im Januar 2016 – nach langer, beschwerlicher Flucht – zum ersten Mal seinen Fuß auf deutschen Boden gesetzt. Nach Zwischenstationen ist er schließlich in Lahr gelandet. Auch ihn hat der Freundeskreis Flüchtlinge Lahr auf dem Weg zu seiner Integration in die deutsche Gesellschaft begleitet. Es war Stefanie Kempchen, eine der Sprecherinnen des Freundeskreises, die sich in besonderer Weise um ihn und zwei weitere junge Syrer gekümmert hat.

Die Hilfe, die Yazan in Lahr zuteil geworden ist, hat er immer wieder zurückgegeben. Erst neulich hat Heimfried Furrer, ebenfalls einer der Sprecher des Freundeskreises, bei ihm nachgefragt, ob er bei einem Umzug helfen könne. Wenig später stand er auf der Matte und packte kräftig mit an. Auch beim jährlichen Sommerfest an der Stadtmauer hat er immer mitgeholfen. Dort war der Freundeskreis auf Stefanie Kempchens Initiative immer mit einem Eisstand vertreten. Und dann gibt es noch Yazans Begeisterung für den Handball. Das ist eine andere Geschichte und die erzählt Sebastian Gehring:


Titelfoto: privat

Yazan Albkairat (Mitte, mit Hut) zusammen mit den Teamkollegen der Herren 2 und 3 der HSG Ortenau Süd


Lahr ist Yazans neue Heimat

„Lahr ist meine neue Heimat geworden, meine Handball-Kollegen der HSG Ortenau Süd sind für mich wie eine große Familie.“ In Yazan Albkairats (25) Worten schwingt große Dankbarkeit mit. Dankbarkeit für die herzliche Aufnahme in Deutschland und die Chance, sich hier eine sichere Zukunft aufzubauen.

Yazan Albkairats erzählt von seiner Flucht aus Syrien und wie er in Lahr Freunde fand. – Foto: privat

Rückblende in das vergangene Jahrzehnt: In seiner Heimat Syrien studiert Yazan englische Literatur, arbeitet fleißig und hochmotiviert für seine berufliche Perspektive. Seine Leidenschaft in der Freizeit gehört dem Handball, er wird sogar in die A-Jugend-Landesauswahl berufen. „Leider zählte ich dort nur zwei Monate zum Kader. Der anhaltende Krieg und die 700 Kilometer Entfernung von meinem Wohnort Daraa nach Latakia, wo die Lehrgänge stattfanden, waren letztlich zu große Hindernisse für mich“, berichtet Yazan.

Seine Mutter und die beiden Schwestern flüchten 2011 nach Jordanien, Yazan und sein Vater bleiben zunächst weiter in der Heimat – des Berufes wegen. Es ist der 3. Oktober 2015, als sich Yazans Leben grundlegend ändert. In Daraa, wo die Aufstände gegen das Assad-Regime 2011 ihre Anfänge nahmen, tobt unerbittlich der Krieg. Der damals 19-Jährige fasst den Entschluss, seine völlig zerstörte Heimat Syrien zu verlassen – ein Aufbruch in eine ungewisse Zukunft.

Drei Monate lang auf der Flucht

Zusammen mit einem Studienfreund und nur mit dem Notwendigsten ausgerüstet macht er sich auf die Flucht. Drei Monate geht es bei bitterer Kälte, Schnee und Eis über die Türkei, Griechenland, die Balkan-Route und Österreich in Richtung Deutschland. „Wir waren über weite Strecken zu Fuß unterwegs, mit dem Bus oder dem Zug.“ Bei all den unvorstellbaren Strapazen und Bedingungen sind es die kleinen Lichtblicke und erfreulichen Momente, die Yazan ermutigen, nicht aufzugeben. „Ich weiß noch genau, wie wir meinen Geburtstag unterwegs ´gefeiert´ haben. Viele Familien haben uns etwas zu Essen und Trinken gegeben oder uns vor der Polizei versteckt.“

Und so sieht Yazan Albkairats aus, wenn er für seinen Verein aktiv ist. – Foto: privat

In Passau betritt Yazan im Januar 2016 deutschen Boden, hier trennen sich jedoch auch die Wege von ihm und seinem Freund. „Die Polizei hat mich und viele andere dann nach Nordhorn begleitet, wo eine Erstaufnahmeeinrichtung in einer Sporthalle eingerichtet war. Dort haben wir vier Tage geschlafen. Ich habe eine sehr nette Familie kennengelernt. Der Mann war Arzt und hat mich komplett durchgecheckt, um sicherzustellen, dass ich mir auf der Flucht keine Brüche oder Verletzungen zugezogen habe. Sie haben mir Essen und Kleidung besorgt und sich wirklich sehr fürsorglich um mich gekümmert. Dafür bin ich unendlich dankbar. Leider ging alles so schnell, dass ich keine Daten der Familie notieren konnte und somit heute leider keinen Kontakt mehr aufnehmen kann, um nochmals Danke zu sagen.“

Yazans Ehrgeiz treibt ihn an

Über eine Zwischenstation in Stuttgart gelangt Yazan schließlich nach Lahr. Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Freundeskreises Flüchtlinge sind seine ersten Ansprechpartner. „Sie haben mir sehr geholfen. Für mich war es der Start in ein komplett neues Leben. Sprache, Ausbildung, Freunde – ich musste alles lernen und neu aufbauen.“ Wer sich mit dem heute 25-Jährigen unterhält, staunt, wie gut er die deutsche Sprache gelernt hat. Es ist sein unermüdlicher Ehrgeiz, der ihn antreibt, in seiner neuen Heimat schnell Fuß zu fassen und sich zu integrieren. „Leider konnte ich aufgrund des Krieges und der Flucht mein Studium der englischen Literatur in Syrien nicht abschließen, ein Semester fehlte mir.“

In Deutschland möchte Yazan zunächst ein Germanistik-Studium beginnen und als Dolmetscher arbeiten, doch es gibt Probleme mit dem BAföG, weshalb er sich umentscheidet. „Ich habe dann eine Ausbildung als Fahrlehrer begonnen. Ende April stehen meine Theorie-Prüfung an der Fahrlehrer-Akademie in Karlsruhe, mündliche Prüfung und Fahrprobe an. Bei bestandener Prüfung gibt es einen Schein als Fahrlehrer-Anwärter und ich darf dann in der Fahrschule arbeiten – zunächst noch unter Beobachtung, bis ich meine Lehrprobe absolviert habe.“


„Der Freundeskreis Flüchtlinge Lahr hat für mich den Kontakt zur HSG Ortenau Süd hergestellt.“

Yazan Albkairats

Dass seine Integration so schnell und vorbildlich voran schreitet, ist nicht zuletzt Yazans großer Leidenschaft Handball zu verdanken. „Der Freundeskreis Flüchtlinge hat mich gefragt, welche Hobbys ich habe und daraufhin den Kontakt zur HSG Ortenau Süd hergestellt.“ Aus den Reihen der Handball-Spielgemeinschaft aus TV Sulz, TV Seelbach und GSV Mietersheim ist es Daniel Kindle, der Yazan ins Training einlädt und mit dem Verein vertraut macht. „Er war für mich in dieser Phase wie ein Vater. Ich kann ihm gar nicht häufig genug Danke sagen für all das, was er für mich getan hat.“

Seine Mannschaftskameraden der 3. Herrenmannschaft nehmen ihren neuen Mitspieler ebenso herzlich im Team auf. „Ich habe mich von Anfang an richtig wohl gefühlt. Die Jungs haben mich in allen Bereichen super unterstützt. Kultur, Vereinsleben, Gesetze – und auch beim Dialekt, was anfangs gar nicht so einfach war“, lacht Yazan. Trainer Marco Kloos findet durchweg lobende Worte für seinen Mitspieler: „Mit seiner offenen und herzlichen Art hat sich Yazan sofort super in unsere Gemeinschaft eingefügt. Ich schätze an ihm vor allem auch sein Engagement und seine Disziplin. Auch außerhalb des Handballfeldes ist Yazan immer äußerst hilfsbereit – ein Teamplayer, wie man sich ihn für seine Mannschaft wünscht.“

Yazan Albkairats (Vordergrund) und seine syrischen Freunde betreuen den Eisstand des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr. – Foto: Freundeskreis

Dankbar für die neue Chance

Seit dieser Saison engagiert sich Yazan zusammen mit Felix Haag auch als Trainer der HSG-D-Jugend. „Damit möchte ich dem Verein, der mich so herzlich aufgenommen hat, etwas zurückgeben.“ Der Lockdown jedoch verhindert ein regelmäßiges Zusammentreffen, Trainings- und Spielbetrieb ruhen seit Ende Oktober. „Der persönliche Kontakt und die Gemeinschaft fehlen mir momentan schon sehr. Wir schalten uns deshalb regelmäßig virtuell zusammen.“

Mit seiner Familie steht er ebenfalls über die sozialen Netzwerke in Kontakt. „Wir sind drei bis vier Mal pro Woche im Austausch via Videocall oder WhatsApp. Auch wenn ich sie natürlich alle sehr vermisse, bereue ich meine Entscheidung nicht. Ich habe hier eine neue Chance bekommen, für die ich überaus dankbar bin.“ Das ist die Geschichte von Yazan Albkairat – ein Musterbeispiel für gelungene Integrationsarbeit.

Zur Person

Sebastian Gehring, der Autor dieses Beitrags über den jungen Syrer, ist in Lahr und Umland kein Unbekannter. Der Autor, Jahrgang 1982, ist in Seelbach aufgewachsen. Zur Schule gegangen ist er auch in Lahr. Es war das Max-Planck-Gymnasium, wie sich Heimfried Furrer, Sprecher des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr, erinnert. Er war Lehrer an der Schule. Sebastian Gehring ist seit 2019 tätig bei fair-sport in Aspach – www.fair-sport.de. Dort ist er der PR- und Marketing-Manager. In der Zeit von 1995 bis 2005 war er in der Region bekannt als Moderator. So war er zum Beispiel seit 2007 der Streckensprecher beim Seelbacher Schwarzwald-Sonnwendlauf. Er übernahm auch die Hallenmoderation bei TV Seelbach, wo er seit 1988 aktiver Handballer war. Seit 1996 arbeitete er als freier Mitarbeiter für verschiedene Lokalzeitungen und berichtete in dieser Funktion auch über die Fußball-Bundesliga (SC Freiburg) und die zweite Handball-Bundesliga (TV Willstätt-Ortenau). Von 2005 bis 2007 absolvierte er beim Regionalfernsehsender TV touring Aschaffenburg ein redaktionelles Volontariat. Anschließend wurde er dort fest angestellt, stieg zum stellvertretenden Redaktionsleiter auf. 2008 wurde er Assistent Marketing/PR beim VfR Aalen, ein Jahr später war er der Pressesprecher. Seit 2019 ist er in Aspach tätig, wo er auch wohnt.