Deutschunterricht für Geflüchtete im Wandel

Von den Erfahrungen eines Englischlehrers im Deutschunterricht erzählt der folgende persönliche Bericht von Heimfried Furrer:

 

Englischlehrer am Gymnasium – um diesen Job wird man von Kollegen nicht beneidet. Kaum ein anderer Lehrer hat einen solchen Korrekturaufwand, muss zu Hause Stunden damit verbringen, meist über hundert Seiten Text auf inhaltliche Qualität und sprachliche Korrektheit zu verwenden – für die Korrektur nur einer Klassenarbeit einer Oberstufen- oder Mittelstufen-Klasse.

Demgegenüber sollte es doch ein Kinderspiel sein, die eigene Sprache einer kleinen Gruppe von Ausländern beizubringen: Keine Korrekturen zu Hause, keine Beurteilung der inhaltlichen Qualität von Texten, keine Noten, nur Vermittlung von sprachlichen Strukturen und elementarer Grammatik auf einfachem Niveau. So dachte ich jedenfalls, bevor ich mich der Aufgabe stellte. Als ehemaliger Gymnasiallehrer für Englisch war ich ja auch mit der Didaktik einer Fremdsprache bestens vertraut.

Heimfried Furrer (stehend) unterrichtet Rasheed und Blessing mit ihren in Deutschland geborenen Söhnen Praise und Precios (von links) im Wohnheim in der Willy-Brandt-Straße. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Lehrreich und bereichernd

Inzwischen glaube ich, dass mein neuer Job es mit den Schwierigkeiten und Belastungen des Lehrers am Gymnasium aufnehmen kann, auch was den Aufwand an häuslicher Arbeit angeht. Ich glaube aber nicht, dass der normale Lehrerberuf so lehrreich und bereichernd ist wie mein jetziger, ehrenamtlicher Job.

Hier das Beispiel meines jüngsten Abends im Flüchtlingswohnheim Willy-Brandt-Straße: Nur vier Lernwillige waren gekommen, die mehr oder weniger regelmäßig da sind. Natalja, ebenfalls eine „Treue“, war verhindert. Diesmal keiner der sporadisch auftauchenden Geflüchteten, für die ich immer eine schwere Tasche mit Arbeitsblättern und Büchern für alle Lern-Niveaus mit mir schleppe. Eigentlich gute Bedingungen für effektives Arbeiten in den kommenden zwei Stunden.

Auch im Flüchtlingswohnheim in der Willy-Brandt-Straße findet Deutschunterricht für Flüchtlinge statt. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

 

Verschiedene Lern-Niveaus und Themen

Die Schwierigkeit für mich lag darin, dass ich mich auf verschiedene Lern-Niveaus und Themen einstellen musste: Die beiden Ukrainer bearbeiteten Probetests für die B2-Prüfung, die ich für sie im Internet gefunden und ausgedruckt hatte. Der Iraker hatte mir in Auftrag gegeben, einen Probetest des Niveaus B1 mitzubringen, weil er sich auf die Prüfung vorbereitet. Und der junge Mann aus Kamerun hatte in der Berufsschule Probleme mit der Mathematik und brachte ein Arbeitsblatt mit vielen verschiedenen Aufgaben zum Bruchrechnen mit, dabei auch Textaufgaben, selbst bei deutschen Schülerinnen und Schülern ein Angstthema.

Also war ich im Dauerstress und wanderte um die Gruppe herum, korrigierte und erklärte fertiggestellte Teilaufgaben der Tests und erklärte dem Kameruner die Regeln des Bruchrechnens. Dabei hatte ich das geradezu ekstatisch erhebende Erfolgsgefühl, als ich mich an eine Regel aus meinem Schulunterricht von vor rund 57 Jahren erinnerte: „Durch einen Bruch dividiert man, indem man mit dem Kehrwert des Bruches multipliziert.“ Aber so konnte ich das dem jungen Mann, der offensichtlich von seiner eigenen Schulbildung wie auch seinem Sprachniveau her den Satz nicht verstanden hätte, natürlich nicht vermitteln.

Heimfried Furrer (rechts) im Gespräch mit Flüchtlingen – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

 

Erinnerung an den alten Mathelehrer

Da kam mir eine weitere Erinnerung an meinen alten Mathelehrer Restle („Reschtle“) zugute, der zu unserer Erheiterung immer mit „Erdbeertörtsche“ rechnete. Ich zeichnete also zerlegte und aufgeteilten Kuchen und versuchte so, die Regeln der Multiplikation, der Division und des Kürzens von Brüchen verständlich zu machen. Hinterher dachte ich: Wenn jetzt noch der sympathische Analphabet aus Gambia gekommen wäre . . . Er arbeitet aber Schicht und konnte an diesem Abend nicht kommen.

Meistens, so auch am letzten Dienstag, kommt es nach 20 Uhr dann noch zu einem privaten Austausch, auch zwischen den verschiedenen Nationalitäten. Da bleibe ich gerne länger, denn da wird es oft besonders interessant. Und, komisch: Wenn ich nach einem erfüllten Tag abends um 18 Uhr in die Willy-Brandt-Straße gehe, bin ich meist ein wenig müde und abgespannt; das darf man mit fast 70 auch sein. Aber wenn ich dann nach 20.30 Uhr nach Hause komme, bin ich putzmunter und aufgekratzt und erledige noch einige Arbeiten am PC.

Heimfried Furrer ist einer der sechs Sprecher des vom Freundeskreises Flüchtlinge Lahr. – Foto: Christoph Breithaupt

 

Das sind hin und wieder Recherchen zu den Themen, über die wir nach dem Unterricht diskutiert haben, und sie führen dann teilweise zu Texten, die in der nächsten Stunde als Grundlage für Aufgaben zum Leseverständnis und zur Grammatik dienen.

Immer wieder auch träge Teilnehmer

Leider gibt es auch immer wieder träge Teilnehmer, die sich von ihrer sporadischen Anwesenheit gewissermaßen „Deutschlernen im Schlaf“ erhoffen. Die nerven gewaltig. Wenn ich aber mit Leuten wie den Vieren vom letzten Dienstag zu tun habe, die wissbegierig und fleißig große Anstrengungen unternehmen, um schnell die Sprache zu lernen, dann empfinde ich eine tiefe Befriedigung, dass sich mein Einsatz lohnt. Und ich bin voller Bewunderung für jemanden wie Dima, der an dem besagten Tag am Vormittag einen Deutschkurs besucht hatte, dann zum Lerncafé ging, um am Nachmittag an einem weiteren Kurs teilzunehmen, bevor er dann abends noch zu mir kam.

Weitere Informationen zum Deutschunterricht und die Ansprechpartner gibt es hier.


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