Die Leiden einer jungen Kurdin aus Afrin

Dieser Text handelt von den Leiden einer jungen Kurdin aus Afrin. Sie ist in Sicherheit in Deutschland, in Lahr. Aber sie kommt nicht zur Ruhe. Das liegt an der türkischen Invasion ins syrische Kurdengebiet. Die junge kurdische Frau, die vor dem Krieg in ihrem Heimatland Syrien geflohen ist und nicht namentlich genannt werden will, hat in dem umkämpften Gebiet Familienangehörige, die in Lebensgefahr sind. Auf der Website des Freundeskreises beschreibt sie ihre Gefühle.

„Ich schreibe dies auf, weil mir sonst vor Kummer und Leiden das Herz zerspringt. Auch sollen meine Kinder dies später lesen und erfahren, was ich ihnen jetzt, so gut es geht, ersparen will zu hören. Und auch die Deutschen sollen mein Leiden miterleben, gerade die.


Titelfoto: Peter Smola / pixelio.de

Was macht der Krieg in Nordsyrien mit Geflüchteten in Deutschland, in Lahr? Eine junge Kurdin berichtet.


Was meine Kinder angeht, habe ich ein schlechtes Gewissen: Ich bin mir nicht sicher, ob es richtig ist, ihnen all das Schreckliche vorzuenthalten, das mich belastet. Immerhin ist es ihr Land, ist es Teil ihrer Geschichte und Kultur, sind es Angehörige ihres Volkes und, vor allem, ihrer Familie, die geschunden werden und vom Untergang bedroht sind. Aber meine Kinder haben schon so viel Schreckliches am eigenen Leib erleben müssen . . .

Ich bin Kurdin und muss erzählen, wie das Schicksal meines Volkes und meiner Familie mich belastet. Ob ich durch das Erzählen entlastet werde, bin ich mir nicht sicher. Bisher fühle ich noch keine Erleichterung durch die vielen Gespräche mit Freunden, in denen ich immer wieder neue Nachrichten weitergebe, die ich Tag und Nacht auf dem Smartphone empfange. Noch durch die schrecklichen Bilder, die ich ihnen zeige, oder die Wiederholung von bereits Erzähltem, das mich besonders bedrückt. Im Gegenteil, es wird immer schlimmer – aber es ist wie ein Zwang.


„Die Deutschen verurteilen den Krieg,

sie liefern aber auch die Waffen.“

Junge Kurdin aus Afrin

Auf jeden Fall müssen die Deutschen erfahren, was meine Landsleute erleiden müssen. Die Deutschen, die den Krieg verurteilen, ihn aber durch ihre Waffenlieferungen in Gang halten: Geschäft ist Geschäft, und was bereits bestellt ist, wird ausgeliefert. Die Deutschen, die sich gegen den Krieg aussprechen, sich aber nicht einmal trauen, von völkerrechtswidriger Invasion zu sprechen. Ihre Politiker müssen doch mindestens ebenso leichten Zugang wie ich zu den Informationen haben, die mich nächtelang wachhalten.

Ich habe es mit meinen Kindern geschafft, nach Deutschland zu gelangen. Es war schwer genug für eine junge alleinerziehende Mutter. Die Strapazen und Schrecken der langen Flucht haben ihre Spuren hinterlassen an meinem Körper und meiner Seele. Noch schlimmer war das Leben im umkämpften Aleppo, wo abwechselnd Rebellen und Regierungssoldaten die Menschen, vor allem die kurdischen, drangsalierten, erpressten, beraubten, vergewaltigten, umbrachten. Ich träume jede einzelne Nacht davon.


„Ich bin in Sicherheit, aber

Ruhe habe ich nicht gefunden.“

Junge Kurdin aus Afrin

Nun sind wir hier in Sicherheit. Aber Ruhe habe ich hier nicht gefunden. Fast meine ganze Familie lebt noch im jetzt vom türkischen Militär besetzten Gebiet und hat nun noch unter einem dritten Folterknecht zu leiden. Meine Schwester und ihre Familie wurden aus ihrem Haus gejagt und leben mit vielen anderen Leidensgenossen in einem riesigen Zeltlager, wo Krankheiten grassieren, für die ihnen keine Hilfe gewährt wird. Auch meine Eltern wurden aus ihrem Haus vertrieben, ihr Besitz geraubt oder zerstört. Mein Vater ist schwer herzkrank und müsste dringend von einem Spezialisten operiert werden, zu dem er aber nicht reisen darf.

Oft kann ich längere Zeit nicht mit ihnen sprechen, weil keine Internet-Verbindung besteht, aber ich denke pausenlos an sie. Und seit den jüngsten kriegerischen Auseinandersetzungen empfange ich hin und wieder Bilder von entsetzlich zugerichteten Menschen, auch Kindern, von Toten, die ich zum Teil kenne.


„Ich versuche, meine Tränen

vor den Kindern zur verbergen.“

Junge Kurdin aus Afrin

Manchmal denke ich, es wäre besser zurückzukehren und das Leid gemeinsam mit meinen Angehörigen zu tragen, nicht allein in der Fremde um sie bangen zu müssen. Aber das Wohl meiner Kinder verbietet dies natürlich; und um ihretwillen versuche ich auch – so gut wie möglich – meine Tränen, meine Depression zu verbergen. Aber ich weiß, das gelingt mir nicht besonders gut: Ich sehe übermüdet und krank aus, und ich habe auch Angst, dass mich meine Sorgen wirklich krank machen können.

Ich habe liebe Leute kennengelernt, auch Deutsche, die mir helfen und die mich trösten wollen.

Für die Hilfe bin ich dankbar. Trösten können sie mich nicht.“