Viola de Galgóczy: Ich bin bestürzt über den Abschiebungsbescheid

Geschichten mit einem Happy-End zeichnen sich oft dadurch aus, dass man am Ende des Tunnels Licht sieht. Viola de Galgóczy erzählt eine Geschichte, die sich dadurch auszeichnet, dass am Ende des Tunnels kein Licht zu sehen ist. Und weil das, was sie erzählen will, auf der Website des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr erscheint, geht es natürlich um einen Geflüchteten, ganz konkret um einen jungen Mann, der in seinem Heimatland Äthiopien um Leib und Leben fürchten musste und der deshalb anonym bleiben will.

Der Mann, nennen wir ihn einfach M., war in jeder Hinsicht ein mustergültiger Flüchtling, mit Eigenschaften, die man üblicherweise – und unberechtigterweise – im Ausland den Deutschen zuschreibt. Kurzum: Er war deutscher als jeder Deutsche. Er hatte die besten Voraussetzungen, sich in diesem Land zu integrieren, mitgebracht und er hat sich innerhalb von sieben Jahren tatsächlich mustergültig in diese Gesellschaft eingelebt. Er lag niemandem auf der Tasche, hat sogar sein Scherflein zur Steigerung des Bruttosozialprodukts beigetragen. Und dann kam der Abschiebungsbescheid für den Familienvater. Viola de Galgóczy ist nur noch fassungslos:


Titelfoto: Tim Reckmann / pixelio.de

Ein Geflüchteter aus Äthiopien hat sich während seines siebenjährigen Aufenthalts in Deutschland mustergültig integriert, jetzt soll er abgeschoben werden.


Viola de Galgóczy erzählt über die Erfahrungen, die sie mit einem Geflüchteten und mit den Behörden gemacht hat. Die einen Erfahrungen waren sehr gut, die anderen waren deprimierend. – Foto: Christoph Breithaupt

„M. und ich trafen uns am Lahrer Bahnhof, gemeinsam rannten wir mit gut einem Dutzend Menschen vergeblich einem Bus hinterher, der wieder einmal nicht auf die Ankunft des Zugs gewartet hatte, sondern drei Minuten zu früh losgefahren war. So kam es gleich zu einem netten Gespräch, wir unterhielten uns, und ich fragte neugierig nach, ob M. denn einer der vielen Flüchtlinge sei, die in Lahr lebten. Er bejahte dies, und nach und nach erfuhr ich, wo und wie er untergebracht war, woher er stammte, dass er aus Gründen der Gefahr für Leib und Leben – Bürgerkrieg und Krieg mit Eritrea – sowie aus wirtschaftlichen Gründen geflohen war und nun in einem Lahrer Flüchtlingsheim wohnte.

M. war christlich-orthodox erzogen, hatte einen Highschool-Abschluss, hatte eine Schauspiel-Schule besucht und in mehreren Filmen mitgewirkt. Im Flüchtlingsheim sah er sich umgeben von sich teilweise recht aggressiv und unverschämt gebärdenden, täglich Drogen konsumierenden Mitbewohnern. Da er sich bedroht fühlte, bot ich ihm ein kleines Zimmer in unserer Hausgemeinschaft an – nach einigen weiteren Kennenlern-Gesprächen, bei denen auch mein Mann mit dabei war.

Um für M. die sogenannte Anschlussunterbringung zu erreichen, in die ein Flüchtling normalerweise nach zwei bis drei Jahren Heimaufenthalt kommt, begab ich mich zur zuständigen städtischen Behörde, wurde von dieser nach Offenburg geschickt, von dort aus nach Freiburg verwiesen, von dort aus recht unhöflich wieder nach Lahr. Dort hieß es: „Was, wir sollen zuständig sein? Sind wir aber nicht!“ Nach meiner Bitte an die drei Behörden, sich doch telefonisch über die Situation zu verständigen, durfte ich in Lahr endlich einen Antrag stellen.

Licht am Ende des Tunnels: Bei der Geschichte, die Viola de Galgóczy erzählt, gibt es kein Licht. – Foto: syha / pixelio.de

Dabei wurde ich vorwurfsvoll gefragt, warum ich denn ausgerechnet diesen einen Menschen bei mir wohnen haben wolle. Ich antwortete etwas verwundert über den strengen Ton, M. sei christlich-orthodoxen Glaubens, wir hätten uns näher kennengelernt, und er würde in unsere christlich orientierte Hausgemeinschaft gut hineinpassen. Zurück kam die bissige und herabwürdigende Bemerkung, ich wolle mir wohl zu meinen Gunsten eine Rosine aus der Masse der Flüchtlinge herauspicken. Ich entgegnete, dass ich überhaupt gar nichts gegen muslimisch gläubige Menschen oder Menschen egal welchen Glaubens habe, es jedoch innerhalb unserer Hausgemeinschaft passender fände und so weiter und so fort.

Dass ich einer der wenigen Menschen in Lahr war, die überhaupt einen Flüchtling bei sich aufnehmen wollten, und dass ich freiwillig und mit großer Hilfsbereitschaft im Herzen gekommen war, um dies der Behörde anzubieten, wurde keinesfalls erwähnt oder irgendwie gewürdigt.


Nach viel bürokratischem Hin und Her durfte M. bei uns einziehen.

Viola de Galgóczy

Nach einem weiteren halben Jahr (!) und viel bürokratischem Hin und Her war es dann endlich soweit, M. durfte bei uns einziehen. Er entpuppte sich als ein absolut liebenswürdiger, hilfsbereiter, ordnungsliebender, angenehmer Mitbewohner, der sofort auf Arbeitssuche ging, um nicht mehr am Sozialtopf unseres Landes hängen zu müssen, sondern sein Geld selbst zu verdienen. M. wurde bei mehreren Jobs nach Strich und Faden ausgenutzt. Zuerst musste er Haus und Hof eines seiner Chefs entrümpeln, anstatt in dessen Werkstatt zu arbeiten. Dafür wurde er oft nicht einmal ausbezahlt. Dann durfte er frisch erzeugte, heiße Autoreifen ohne Schutzmaske oder andere Arbeitsschutzkleidung vom Band hieven. Er musste sich zwei Tage lang wegen der giftigen Dämpfe übergeben und weigerte sich deshalb, den Job weiter auszuführen. Zudem war er während seiner Arbeit von einigen Kollegen auch noch rassistisch beschimpft und ob seiner Übelkeit ausgelacht worden.

Über das Arbeitsamt wurde ihm zum Glück bald eine Ausbildung zum Lageristen und Gabelstapler-Fahrer finanziert, das gab ihm nach allen Demütigungen viel Auftrieb. Dann ging´s zur Arbeit bei Zalando, wo M. überaus korrekt und freundlich aufgenommen wurde. Er arbeitete zu jeder Schichtzeit pflichtbewusst und fleißig und wurde gut behandelt. Schließlich bekam er aufgrund seiner Zuverlässigkeit und seiner großen Arbeitsleistung sogar eine feste Stelle angeboten. Endlich fühlte sich M. anerkannt und angenommen, er schien richtig glücklich zu sein und kaufte seiner Mutter vom ersten Gehalt einen warmen Wintermantel.

Ein Anwalt sollte M.s Asylverfahren beschleunigen, aber außer Spesen war nichts gewesen. – Foto: Tim Reckmann / pixelio.de

Während der ersten Monate in Lahr hatte M. noch versucht, über einen Anwalt die Bearbeitung seines Asylantrags zu beschleunigen, um möglichst bald in Deutschland anerkannt zu werden und sich ein sicheres Leben aufbauen zu können, ohne alle paar Wochen fürchten zu müssen, wieder abgeschoben zu werden. Dieser Anwalt verlangte viel Geld, der ganze Prozess kam jedoch nicht weiter wegen Überarbeitung der zuständigen Behörden. Nichtsdestotrotz wurden die Geldforderungen des Juristen nicht weniger, sondern häuften sich zusehends, weshalb ich den Anwalt zur Rede stellte. Daraufhin wurde ich von ihm schwer bedroht und trug schließlich M.s Schuldenberg bei der Kanzlei ab, da er das Ganze nicht mehr selbst bezahlen konnte. Soviel zur juristischen Unterstützung. M. zahlte mir übrigens über Monate hinweg Cent für Cent von seinem bei Zalando verdienten Geld wieder zurück.

Was allein diese ganze Situation für M. psychisch bedeutete, nachdem er eine höllische Reise bis hierher überlebt und gemeistert hatte – aus dem Koffer zu leben und nicht zu wissen, ob er hier überhaupt geduldet werden würde – kann sich jeder selbst ausmalen. Hinzu kam noch, dass er von einigen seiner Landsleute, die vorgaben, nicht aus Äthiopien, sondern aus Eritrea zu stammen, ausgelacht wurde, weil er ehrlich angegeben hatte, aus Äthiopien zu stammen. M. sagte, er könne seinem Gott gegenüber nicht lügen und würde nie auf die Idee kommen, zu seinem eigenen Vorteil die Unwahrheit zu sagen. Seine Landleute hingegen hatten gelogen und ihre Pässe vernichtet, um als Flüchtlinge in Deutschland anerkannt zu werden.

W. fühlt sich wie ein Spielball, der zwischen den Behörden hin und her geschoben wird. – Foto: pixabay.de

Mit einer Frau aus Eritrea hat M. während seiner insgesamt sieben Jahre in Deutschland mittlerweile zwei entzückende Söhne. Sie lebt in Sasbachwalden, er in Lahr. Sie wünscht es so, da ihre Söhne dort in Kindergarten und Grundschule gehen, M. hingegen in Lahr arbeitet. Er liebt seine Familie und tut alles für sie, ebenso wie für seine fast 80-jährige Mutter, die in Äthiopien zurückbleiben musste.

Kaum hatte M. von Zalando ein festes Jobangebot erhalten, kam plötzlich der Abschiebungsbescheid. M. wurde amtlich dazu aufgefordert, seinen Job sofort zu kündigen, sonst könne das Verfahren nicht eingeleitet werden. Nachdem er daraufhin fast drei Monate lang arbeitslos war, wurde er aufgefordert, Arbeitslosengeld zu beantragen. Dann kam der Bescheid, er sei nicht berechtigt, Geld zu erhalten, da er ja selbst gekündigt habe (!!!). Dabei war er ja von Amtsseite her dazu offiziell und autoritär aufgefordert worden.

Ich habe mich bei einem Bekannten erkundigt, der Flüchtlingen beruflich Sprachkurse zuweist. Ergebnis: Der deutsche Steuerzahler hat für die Sprachkurse, Ausbildung und sonstige Unterstützung dieses nach sieben Jahren ausgewiesenen Menschen weit über 10.000 Euro völlig umsonst ausgegeben.

M.s Frau hat sich seit dem Abschiebungsbescheid von ihm distanziert – aus Angst davor, selbst abgeschoben zu werden, seine beiden kleinen Söhne darf er vor seiner Abschiebung noch einmal sehen.

Aus dem hoch resilienten, integrationswilligen, supernetten, hilfsbereiten, fleißigen, zutiefst ehrlichen, arbeitswilligen und gläubigen M. wurde ein Mensch, der hier bei uns im ach so christlich und sozial aufgestellten Deutschland weder anerkannt noch geschätzt wird, sondern offiziell lapidar aufgefordert wurde, sein Glück doch vielleicht in einem anderen europäischen Staat erneut zu versuchen oder gegen den Abschiebungsbescheid auf juristischem Weg zu klagen. Welch ein Hohn!


Es ist für mich unfassbar, wie asozial sich dieses Land verhalten hat.

Viola de Galgóczy

Letzteres lehnte M. ab, nachdem er sieben lange Jahre seines Lebens versucht hat, hier bei uns auf ehrliche Weise Fuß zu fassen, unsere Sprache zu erlernen und sich zu integrieren. Was soll er jetzt in Frankreich, Italien oder gar Griechenland etc.? Außerdem vertraut er nach seinen schlechten Erfahrungen unseren Anwälten keinen Zentimeter weit mehr über den Weg und sagt, er würde die deutschen Behörden mittlerweile nur noch hassen, da sie ihn sieben lange Jahre seines Lebens wie einen Spielball zwischen sich hin und her geworfen hätten.

Was ist das für ein Umgang mit einem hilfesuchenden Menschen? Es ist für mich unfassbar, wie asozial sich dieses Land und dieser Staat ihm gegenüber verhalten hat, und ich schäme mich als dessen Bürgerin, die alles getan hat, um dem Flüchtling M. zu helfen, zutiefst dafür. Meine Konsequenz aus diesen unschönen und traurigen Erfahrungen: Ich werden nie wieder einem Flüchtling ein Zimmer anbieten. Garantiert nicht. Das Thema ist für mich und für unsere gesamte Hausgemeinschaft, die ebenso bestürzt und fassungslos ist wie ich, gelaufen.“

Viola de Galgóczy

Zur Person

Viola de Galgóczy, geboren 1961 in Öhringen, ist als Mezzosopranistin unter anderem eine Stütze des Offenburger Ensembles oder der Lahrer Artrockband Sammelsurium. Seit 2004 unterrichtet sie Gesang, Improvisation und Frühe Bildung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Die in Lahr lebende Viola de Galgóczy ist aber auch als Kinderbuchautorin („Zahlenland“ und „Buchstabenland“) und Illustratorin in Erscheinung getreten. Ihr Roman „Lisas Abenteuer in Melandrien“ erschien 2016 in Neuauflage und wurde 2018 ins Französische übersetzt. Eine englische Übersetzung ist in Arbeit, ebenso der zweite Band. Wer sich ausführlich über Viola de Galgóczy und ihre Arbeit informieren will, wird auf ihrer Website fündig: www.viola-de-galgoczy.de

Weitere Infos zum Thema