Heimfried Furrer zu Abschiebung: Bürokratie kann tödlich sein

Die gesetzliche Lage im Asylrecht und der Umgang von Behörden mit Geflüchteten steht wieder einmal im Mittelpunkt des Interesses. Heimfried Furrer nimmt sich dieses Themas an und berichtet über die schlimmen Erfahrungen eines Flüchtlingshelfers mit Bürokratie, angesichts derer Leserinnen und Leser dieser Website wahrscheinlich nur ungläubig den Kopf schütteln können.

Anlass für diese ganz persönliche Stellungnahme Furrers ist der Beitrag Ich bin bestürzt über diesen Abschiebungsbescheid vom 18. April 2021, den Viola de Galgóczy auf der Website des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr geschrieben hat. Die Lahrer Sängerin und und Autorin hatte sich darüber empört, dass ein Mann aus Äthiopien, der bei ihr lebt und sich in sieben Jahren in Deutschland voll integriert hat, einen Abschiebungsbescheid bekam. Daraufhin schrieb Heimfried Furrer, einer der Sprecher des Freundeskreises, diesen Beitrag als Reaktion darauf:


Titelfoto: Axel Hoffmann / pixelio.de

Geflüchtete haben auf ihrer Flucht viele Hindernisse überwunden, werden in Deutschland in die Obhut von Haupt- und Ehrenamtlichen genommen, integrieren sich – und werden dann abgeschoben.


Heimfried Furrer berichtet über schlimme Erfahrungen von Flüchtlingshelfern mit der Bürokratie. – Foto: Christoph Breithaupt

„Die frustrierenden, ja schockierenden Erfahrungen der hilfsbereiten Lahrerin Viola de Galgóczy decken sich mit meinen eigenen Erfahrungen sowie denen, die ich zugesandten Berichten entnehme. Bürokratische Effizienz und gnadenlose Gründlichkeit, manchmal nach Jahren des Schweigens, kann nicht nur frustrierend, sondern im Extremfall tödlich sein. Man denke da nur an die Abschiebungen nach Afghanistan.

Etliche unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter haben die Erfahrung gemacht, dass ihre Hilfsbereitschaft nicht nur auf behördliches Misstrauen, sondern auf Ablehnung und Widerstände stieß. Auch Arbeitskollegen und Arbeitgeber von Geflüchteten haben in Mails ihre Frustration, teilweise ihre Wut über unverständliche, unerbittliche Sturheit von Behörden ausgedrückt.

Ich nenne nur Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung: Wer versteht es, wenn einer Flüchtlingsfamilie (der Mann hat einen guten und sicheren Arbeitsplatz) der Zuzug in die Stadt des Arbeitsplatzes verweigert wird, weil die Aufnahmequote für Geflüchtete erfüllt sei – obwohl der Arbeitgeber für eine Wohnung gesorgt hätte, die nur durch sein Engagement und nur für diese Familie eingerichtet und renoviert worden wäre?

Die Hilfsbereitschaft von Ehrenamtlichen ist nicht nur auf behördliches Misstrauen, sondern auch auf Ablehnung und Widerstand gestoßen. – Foto: Rainer Sturm / pixelio.de

Oder kann man die Abschiebung des homosexuellen, in seinem Heimatland wegen seiner sexuellen Orientierung mit langjähriger Gefängnisstrafe bedrohten Afrikaners verstehen, dem man seine Homosexualität nicht abnahm, weil er die Frage verneinte, ob er denn in Deutschland schon gleichgeschlechtliche Kontakte gehabt habe?

Oder die Verlegung eines Flüchtlings in einen Wohnort, der so weit von seinem guten Arbeitsplatz entfernt ist, dass er diesen aufgeben muss und wieder dem deutschen Steuerzahler zur Last fällt? Oder, oder … Fast jeder von uns, der sich längere Zeit in der Flüchtlingsarbeit engagiert, hat ähnliche Erfahrungen gemacht.

Meine Kritik trifft hier die Behörden, die angeblich keinen Entscheidungsspielraum haben und nur dem Buchstaben des Gesetzes folgen. Dass diese Einschätzung der rechtlichen Lage ein Irrtum, vielleicht gar nur vorgeschoben ist, zeigen bundesweit zahlreiche Berichte über unkonventionelle und überraschende Entscheidungen, die mutige Bürgermeister, Landräte und Behördenvertreter treffen und denen ein Gefühl für Menschlichkeit und Gerechtigkeit zugrunde liegt – manchmal auch die Erkenntnis, dass ihre Entscheidung auch im wirtschaftlichen Interesse der von ihnen vertretenen Deutschen ist.


Die Honorare der Rechtsanwälte sind hoch, die betroffenen Geflüchteten arm.

Heimfried Furrer

Manchmal sind es auch die Verwaltungsgerichte, die ungerechte Behördenentscheidungen korrigieren. Doch die Honorare der Rechtsanwälte sind hoch, die betroffenen Geflüchteten arm und oft unwissend. Auf jeden Fall aber sind die Verfahrenskosten vom Steuerzahler zu tragen, auch wenn das Gericht positiv im Sinne des Geflüchteten entscheidet.

Es sind nicht die im öffentlichen Dienst stehenden Sozialarbeiterinnen und Integrationsmanager gemeint, über die ich mich beklage. Deren engagierter, von menschlichem Mitgefühl getragener Einsatz steht nicht in Zweifel. Und hinter vorgehaltener Hand stimmen sie in die obige Kritik ein – dürfen sie aber aus Angst um ihren Job nicht laut äußern.

Hat einmal jemand die Kosten des gewaltigen Behördenapparats und der zahlreichen unnötigen Verfahren ausgerechnet und in Bezug gesetzt zum Nutzen der „Flüchtlingsabwehr“?

Auch unter Rechtsanwälten gibt es schwarze Schafe, die gerne Geld entgegennehmen, aber nicht wirklich helfen. – Foto: Heike Zabel / pixelio.de

Denn das scheint das vorrangige Ziel unserer Flüchtlingspolitik zu sein: Mit allen Mitteln die Zahl der zu uns fliehenden Menschen so klein wie möglich zu halten. Dafür zahlt Europa, und immer voran natürlich Deutschland, einem kriminellen Diktator wie Erdogan Milliarden (und nimmt jeden Affront und jede Demütigung in Kauf), dafür schicken wir Geld nach Libyen und schließen die Augen vor dem menschenverachtenden, ja mörderischen dortigen Umgang mit geflohenen Menschen.

Und dafür machen wir es allen Menschen schwer, die Geflüchteten helfen wollen – den Rettungscrews auf dem Mittelmeer wie auch den Ehrenamtlichen in den Helferkreisen. Und auch den Flüchtlingen, die Deutschland als möglichst unattraktives Zufluchtsland sehen sollen.

Aber Hauptsache, unserer Wirtschaft geht es gut: Durch Kriegswaffenexporte, Agrarexporte und andere Maßnahmen, die zum Elend in der Welt und damit zu den Fluchtursachen beitragen.“

Heimfried Furrer

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