„Heute an diesem Morgen geht es für uns darum, diesen brutalen Krieg zu ächten“, sagte Wolfgang G. Müller, Alt-Oberbürgermeister der Stadt Lahr und ihr Ehrenbürger, bei der Solidaritäts-Kundgebung des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr für die Ukraine am Samstag, 12. März 2022 auf dem Rathausplatz. „Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand! Wir fordern den Abzug der russischen Kriegsmaschinerie! Wir fordern das Selbstbestimmungsrecht für die Ukraine! Wir fordern auf zu fairen Verhandlungen!“, rief der Gastredner unter dem Applaus der etwa 250 Zuhörerinnen und Zuhörer. Günter Endres vom Freundeskreis hatte die Veranstaltung eröffnet, Oleksandra Valter aus der Ukraine ging auf die Situation in ihrem Heimatland ein und Herbie Wickertsheim, Musiker und Leader der Flüchtlingsband The Worlderers, sprach sich mit seinen Liedern für den Frieden aus.
Müller ging in seiner Rede auch auf die geopolitische Lage seit dem Fall der Berliner Mauer, die aktuelle Konfliktsituation und die Frage ein, wie Europa zu einer friedlichen Lösung finden kann. Ganz besonders am Herzen lag ihm die Situation in Lahr angesichts der speziellen Bevölkerungsstruktur. Rund 20 Prozent der Einwohner sind Russlanddeutsche und Spätaussiedler. Angesichts dessen betonte der ehemalige OB: „Es muss gelingen, diesem Krieg den Zutritt in unsere Stadt zu verwehren. Der Krieg muss draußen bleiben. Dies ist für mich eine Hauptausrichtung dieser Kundgebung“.
Titelfoto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr
Zahlreiche Menschen sind auf den Lahrer Rathausplatz gekommen, um an der Solidaritäts-Kundgebung für die Ukraine teilzunehmen.
„Wer in Lahr wohnt ist Lahrer“
Und weiter sagte Müller zu diesem Thema: „Wer in Lahr wohnt ist zunächst Lahrer und muss in den Kategorien dieser Stadt denken. Wir leben friedlich und solidarisch miteinander. Der Versuch, auch nur ansatzweise einen Stellvertreter-Krieg führen zu wollen, ist untauglich, gleich für welches Lager. Wände oder Autos zu beschmieren, anonyme Briefe zu versenden, Beleidigungen auszusprechen ist lächerlich und noch dazu strafbar.“ Die Solidarität, von der der Ex-OB sprach, wird tatsächlich auch gelebt. Müller bedankte sich bei den Russlanddeutschen und Spätaussiedlern für die Hilfeleistungen, die sie für Flüchtlinge aus der Ukraine organisieren. Gleichzeitig erwarte er, dass sie sich nicht nur aus einer Nachrichtenquelle informieren. Und in Richtung Freundeskreis Flüchtlinge sagte er: „Sie sehen, Ihre Hilfe wird auch weiterhin gebraucht.“
Unter den zahlreichen Menschen, die sich diese Worte anhörten, befanden sich auch Oberbürgermeister Markus Ibert, etliche Stadträtinnen und Stadträte, der Bundestagsabgeordnete Johannes Fechner, Vertreter von evangelischer und katholischer Kirche, Vertreter aus der Community der Spätaussiedler und Russlanddeutschen, die lila Tulpen an Kundgebungsteilnehmer verteilten, und eine Gruppe von Zuwanderern aus der Ukraine.
„Resolutionen reichen nicht“
Diese herzzerreißende Situation und ihre Entstehungsgeschichte, ging Müller auf den Überfall Russlands auf die Ukraine ein, lasse sich in ihren Verästelungen und in ihrer Vielschichtigkeit nicht komplett begreifen und bewerten. Deshalb warf der Redner ein paar Fragen auf. Er ging auch auf den Aspekt einer Ehrverletzung Russlands ein und stellte wieder eine Frage: „Wäre das Rechtfertigung für einen militärischen Überfall, für den Tod und die Flucht Tausender und grenzenloser Zerstörung?“ Die Antwort war offensichtlich.
Trotzdem sei es zu befürchten, dass dieser Krieg nicht durch Forderungen und Resolutionen beendet werden könne, sondern nur durch harte Gegenmaßnahmen und einen langen Atem, fuhr Müller fort. Dazu gehörten auch Waffenlieferungen. Beim Thema Flugverbotszone stellte er die Frage, ob sie zu verantworten sei, wenn Putin offen mit dem Einsatz von Atomwaffen drohe. Auch hier war die Antwort klar.
Eine Stimme aus der Ukraine
Zu diesem Thema war bei der Kundgebung auch eine andere Stimme zu hören. Oleksandra Valter aus der Ukraine beschrieb in ihrem Beitrag die Situation in ihrem Heimatland. Dafür, dass so viele Menschen sterben, seien die russischen Luftangriffe verantwortlich. „Die hören einfach nicht auf.“ Das liege daran, dass die russische Armee am Boden keine Erfolge habe. „Deshalb werden die Russen weiter bombardieren, auch Schulen, Krankenhäuser, Häuser, Kirchen.“ Man müsse auch die Atomkraftwerke in der Ukraine in die Überlegungen einbeziehen. Fünf von ihnen gebe es in ihrem Heimatland, zwei davon seien in russischer Hand. Jeder Zeit könne es zu einer Katastrophe kommen. Denn die Strahlung kenne keine Grenzen. „Helfen Sie deshalb der Ukraine irgendwie, den Luftraum zu schützen“, war Oleksandra Valters Appell an die Zuhörerinnen und Zuhörer. Die 30-jährige Juristin stammt aus der Region von Cherson nahe der Krim. Sie ist seit fünfeinhalb Jahren in Deutschland und lebt in Lahr zusammen mit ihrem Mann und ihrem Sohn.
Wolfgang G. Müller hatte auch noch das Thema Sanktionen angesprochen: „Wird das Ziel erreicht? Wie lange mag es dauern?“ In Deutschland spüre man schon einen ersten Hauch der Kriegsfolgen. „Vielleicht sind aber auch bald unsere Wohnzimmer kälter und unser Badewasser“, meinte der Redner.
„Russland ist isoliert“
Russland sei isoliert und habe einen holprigen Weg in die Zukunft. Wie die aussehen könnte? Dazu meinte der ehemalige Oberbürgermeister folgendes: „Die Rückkehrmöglichkeit zu den zivilisierten Staaten sollte auch für Russland gelten. Einem geläuterten Russland, müssen wir wieder die Hand reichen. Einem Russland, das Fehler eingesteht und Kriege als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ausschließt. Dazu muss Russland viel Schutt beiseite räumen und auch einen gesellschaftlichen Transformationsprozess einleiten. Das wird dauern!“
Herbie Wickertsheim, Musiker und Leader der Flüchtlingsband The Worlderers, steuerte zur Veranstaltung Lieder zum Thema Frieden bei. Dem von John Lennon komponierten Give peace a chance stattete Wickertsheim mit einem deutschen Text aus, und der ging dann so: Wir fühlen mit euch, mit unseren Freunde in der Ukraine. Aber was können wir tun? Zusammen mit Tahere Hossaini präsentierte er auch das Lied Wir ziehen in den Frieden von Udo Lindenberg. Eine Gruppe von Zuwanderern aus der Ukraine sang zum Abschluss der Veranstaltung die Nationalhymne ihres Heimatlandes.
Günter Endres, einer der Sprecher des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr, hatte zu Beginn der Kundgebung darauf hingewiesen, dass er die 78 Jahre seines Lebens in Frieden gelebt habe. „Ich habe immer gedacht, da habe ich Glück gehabt.“ Nun aber habe Putin am 24. Februar 2022 beschlossen, das Völkerrecht zu missachten und hat das ukrainische Volk anzugreifen. „Wir im Westen, die Krieg nicht kannten, erleben nun Grausamkeiten, die wir uns gar nicht vorstellen konnten.“
Apropos Putin. Da hatte Herbie Wickertsheim zum Schluss – trotz des Ernstes der Veranstaltung – noch ein kleines Bonmot parat: „Liebes Coronavirus“, sagte er, „tu doch einmal in deinem armseligen Leben etwas Positives. Flieg doch mal nach Moskau in den Kreml und schau dich dort um, ob du nicht vielleicht was Leckeres für dich da findest. Wir würden dir viel verzeihen.“
Weitere Informationen
- Bericht über die Kundgebung in der Badischen Zeitung und in der Lahrer Zeitung
- Rede von Wolgang G. Müller im Wortlaut
- Liedtext Give peace a chance
- Give peace a chance auf YouTube, das Lied wurde vor der Kundgebung aufgenommen
- Wir ziehen in den Frieden auf YouTube, das Lied wurde vor der Kundgebung aufgenommen
- Hilfsaktionen und Informationen zum Thema Ukrainische Flüchtlinge
- Ankündigung der Kundgebung in der Badischen Zeitung
Russlanddeutsche und der Krieg
- Die Fernsehsender SWR und ZDF berichten über Russkanddeutsche in Lahr in Zeiten des russischen Angriffs auf die Ukraine. Die Lahrer Zeitung hat sich das Heute journal angeschaut und kommentiert.
- Oberbürgermeister Markus Ibert appelliert für ein friedliches Zusammenleben in der Stadt, schreibt die Badische Zeitung
- Die Hetze muss aufhören, meint Olesja Romme im Interview mit der Lahrer Zeitung
- Artikel Plötzlich wieder ein Feindbild in der Lahrer Zeitung von Mittwoch, 9. März 2022
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