Ein Projekt von unschätzbarem Wert

Das Grundschulprojekt des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr ist derzeit das Aushängeschild der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in Lahr. Seit Ostern 2019 läuft es nun schon und erreicht inzwischen neun Schulen und 15 Schülerinnen und Schüler der Klassen eins bis drei. Die Resonanz aus den Schulen ist überschwänglich. Ein guter Grund also, sich einmal hautnah anzuschauen, wie dieses Projekt funktioniert.

Konferenz der Lehrer. Gemütlich geht es hier zu, die Anwesenden machen es sich auf den Polstersesseln und Sofas bequem, auf dem Tisch stehen neben Wasser und Säften Sesambrezeln, Erdnüsse und Grissini zum Verzehr bereit. Auch sonst ist diese abendliche Konferenz anders als alle anderen. Die Lehrkräfte – Frauen und Männer – sind zwischen 16 und 74 Jahre alt. Auf mehr als sieben Jahrzehnte bringt es Marianne Perotto. Als sie noch berufstätig war, arbeitete sie als Musiklehrerin und als Leiterin der Schülerhilfe in Kippenheimweiler. „Richtige“ Lehrer sind die wenigsten der Anwesenden, sie warten aber mit verschiedenen pädagogischen Erfahrungen auf. Und sie haben alle das gleiche Ziel: Sie wollen Lahrer Grundschülerinnen und Grundschülern mit Migrationshintergrund dabei helfen, ihre deutschen Sprachkenntnisse zu verbessern.


Titelfoto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Lehrerkonferenz (von links): Heimfried Furrer, Adeeba Khan, Annika Kern, Marianne Perotto sowie Moshe und Debora Straniero tauschen Ideen aus.


Konferenz der Lehrer

Die Grundschule in Sulz ist eine der Schulen, die in den Genuss des Projekts des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr kommt. – Foto: Christoph Breithaupt

So funktioniert, kurz zusammengefasst, das neueste Projekt des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr, das nicht nur für Flüchtlingskinder gedacht ist, sondern auch Kinder Arbeitsmigranten aus Osteuropa berücksichtigt. Zum Projekt gehört es, dass sich die Nachhilfe-Lehrerinnen und Lehrer einmal im Monat zu einem Erfahrungsaustausch treffen und sich gegenseitig Anregungen geben, wie man die Sprachförderung für die Schülerinnen und Schüler am besten gestalten könnte. „Wenn man das zu sehr wie Unterricht aufzieht, funktioniert es nicht.“ Diese Erfahrung hat Debora Straniero gemacht. Statt Vokabeln zu pauken, hat sie mit ihren Schülern zum Beispiel ein Memory-Spiel gemacht – und das kam gut an.

Sprache spielerisch vermittelt

Annika Kern, eine andere Nachhilfelehrerin, schaut sich immer wieder das Sachkundeheft ihrer Schüler an, um zu sehen, was im normalen Unterricht gerade Thema ist. Zuletzt sei es um Getreide gegangen. Da habe sie Bilder zum Thema herausgesucht, um den Wortschatz anschaulich vermitteln zu können. Ähnliches hört man immer wieder von den Teilnehmern dieser Runde: Die Materialien für den Nachhilfeunterricht werden selbst gesammelt oder gebastelt. Bilder spielen dabei eine wesentliche Rolle und wenn die Sprache spielerisch vermittelt wird, dann ist die Motivation der Schüler am größten.

Nachhilfelehrerinnen tauschen Unterrichtsmaterialien aus. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge

Die Nachhilfelehrer haben bei ihrem Engagement auch die Aussagen richtiger Grundschullehrerinnen im Ohr, die an diesem Abend die Runde machen: „Eigentlich kann man nichts falsch machen“ – „Sprechen Sie mit den Kindern, das allein hilft schon“ – „Das braucht Zeit, das dauert“. Beruhigende Worte für die Anwesenden, die am Ende des Abends die Aufwandsentschädigung für die im zurückliegenden Monat geleisteten Unterrichtsstunden ausbezahlt bekommen. Das übernimmt Heimfried Furrer (71 Jahre), Gymnasiallehrer, der das Grundschul-Projekt nicht nur organisiert, sondern auch selbst aktiv daran mitwirkt.

Das Einhorn ohne Horn

Ein paar Tage nach dem Lehrertreffen macht sich Marianne Perotto auf den Weg zur Sprachförderung in die Grundschule nach Sulz. In einem leeren Klassenzimmer trifft sie sich mit zwei Schülerinnen aus der ersten Klasse: Farah aus dem Irak und Nikolett aus Ungarn. Unterricht findet aber hier nicht statt. Es hat eher den Anschein, als würde eine Großmutter ihre beiden Enkelinnen sinnvoll beschäftigen. Es wird gebastelt und gemalt, es wird gesungen und getanzt, es wird vorgelesen und es werden Spiele gespielt. In den Familien der beiden Mädchen wird kein Deutsch gesprochen, dafür aber an diesem Vormittag zwei Stunden lang umso intensiver.

Sprachförderung: Marianne Perotto (Mitte) hilft Farah aus dem Iran (links) und Nikolett aus Ungarn dabei, die deutsche Sprache schneller zu erlernen. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge

Zunächst entsteht ein Hut aus Papier. Marianne Perotto unterhält sich mit den Mädchen darüber, welchen Familienmitgliedern er wohl passen könnte, dem Papa, dem großen Bruder oder dem kleinen Bruder. Die Mädchen wollen jetzt gerne malen, ein Pferd. Nikolett will lieber ein Einhorn malen. Es hat aber kein Horn. Die Diskussion mit dem Mädchen führt zu dem Ergebnis: Es ist ein Einhorn, aber eines ohne Horn. Auch Farahs Pferd ist fertig. Ob sie mal demonstriert, wie sich so ein Pferd bewegt? Klar, Farah steht auf und galoppiert durch das Klassenzimmer. Marianne Perotto hat inzwischen eine Schnecke gemalt. Die drei unterhalten sich darüber, wie die einzelnen Körperteile heißen. Nicht alle Vokabeln sind präsent. Marianne Perotto stimmt deshalb das Lied „Schneck im Haus“ an. „Strecke Deine Fühler aus.“ Und schon ist das Wort Fühler wieder Teil des aktiven Wortschatzes.

„Fortschritt ist deutlich sichtbar“

Und so geht es weiter an diesem Vormittag. Die Mädchen beschäftigen sich mit dem Thema Obst und welche Früchte dazu zählen, sie identifizieren Tiere anhand der Geräusche, die sie machen oder anhand von Bildern. Sie machen sich Gedanken über die Farben des Regenbogens und lernen, wie die Finger an ihrer Hand heißen und dass es da auch noch den Daumen gibt. Ganz zum Schluss setzen die Mädchen ihre Namen aus Buchstaben zusammen und zur Belohnung gibt es noch das Ratespiel „Wer ist es“. Bei den beiden Mädchen kommt Marianne Perotto mit ihrer Sprachförderung offensichtlich sehr gut an.

Spielerisch geht es zu bei der Sprachförderung. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Und wie sieht die Schule das? „Bei der Sprachförderung sind wir auf Ehrenamtliche angewiesen, weil wir keine Vorbereitungsklasse haben“, sagt Rektor Oliver Bensch. Aus dem Bekanntenkreis habe er vom Grundschulprojekt des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr gehört. Das hat dazu geführt, dass es seit Ostern vergangenen Jahres eine Sprachförderung in seiner Schule gibt. Und die Erfahrungen, die die Schule mit dem Engagement des Freundeskreises gemacht hat? Gaby Fiebig, eine Klassenlehrerin, beschreibt das so: „Die Mädchen kommen immer strahlend aus der Sprachförderung zurück ins Klassenzimmer.“ Und ja, ein Fortschritt bei der Sprachkompetenz sei deutlich erkennbar. Der Schulleiter bringt es auf den Punkt: „Die Arbeit der Ehrenamtlichen ist von unschätzbarem Wert.“

In der Grundschule in Sulz: Marianne Perotto (links) im Gespräch mit Rektor Oliver Bensch und Lehrerin Gaby Fiebig. – Foto: Freundeskreis Flüchtlinge Lahr

Zahlen und Fakten

Momentan sind im Rahmen des Projekts neun Lehrkräfte in neun Grundschulen im Einsatz. Sie bekommen für eine Stunde Einsatz eine Aufwandsentschädigung von 15 Euro. Für das gesamte Schuljahr 2019/20 entstehen so Kosten in Höhe von 5500 bis 6000 Euro. Derzeit sind es mindestens 15 Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 1 bis 3, die betreut werden. Die Lehrkräfte sich zwischen 16 und 74 Jahren alt und verfügen über unterschiedliche pädagogische Erfahrungen. Schüler haben Erfahrungen in der Hausaufgabenhilfe, Nachhilfe und Ferienbetreuung gesammelt. Eine Studentin hat schon mehrfach Kindergruppen betreut. Eine Teilnehmerin ist Yoga-Lehrerin und hat mehrjährige Erfahrung mit Kindergruppen. Eine Teilnehmerin betreut seit Jahren Kinder an Schulen, unter anderem mit Vorlesen. Eine Teilnehmerin ist seit Jahren an einer Schule im Einsatz bei der Nachmittags- und Freistundenbetreuung von Gruppen und fördert nun zusätzlich einzelne Kinder sprachlich. Mit dabei ist auch ein pensionierter (Sprachen-)Lehrer am Gymnasium.

Ansprechpartner für das Grundschulprojekt ist Heimfried Furrer, Tel. 07821 / 2 41 26, E-Mail ihfurrer@t-online.de