Wer hätte das gedacht? Zur Demonstration für Demokratie, Respekt und Vielfalt am Samstag, 3. Februar 2024 waren sage und schreibe 4000 Menschen auf den Lahrer Rathausplatz gekommen – nach Angaben der Polizei. Damit hatte kaum jemand gerechnet. Die eineinhalbstündige Kundgebung wurde musikalisch begleitet von der Band The Worlderers des Freundeskreises Flüchtlinge Lahr.
Fünf Rednerinnen und Redner standen auf der Liste der Kundgebung. Den Auftakt machte Oberbürgermeister Markus Ibert. Es folgten Jugendgemeinderat Hadi Sayed-Ahmad, Brigitta Schrempp, Vizepräsidentin der IHK Südlicher Oberrhein und Vorstandsmitglied im Wirtschaftsbeirat Nectanet, Sana Hüssein Alyaaqubi vom interkulturellen Beirat und die Russlanddeutsche Hilda Beck vom Verein Bürger Aktiv Lahr.
Titelfoto: Freundeskreis Flüchtlinge
Ein Rathausplatz voller Menschen: Die Stadt Lahr hat am Samstag die wohl größte Demonstration ihrer Geschichte erlebt.
Die Mehrzahl der Rednerinnen und Redner hatte eine Gemeinsamkeit: den Migrationshintergrund. Dazu zählte Heinz Siebold, der Moderator der Veranstaltung, auch Oberbürgermeister Markus Ibert. Denn er stamme schließlich aus Ettenheim.
Auf dem Rathausplatz stehe die wirkliche Mitte der Gesellschaft, sagte der Oberbürgermeister. Menschen, die sich nicht unbedingt politisch in einer „Mitte“ verorten müssten, sondern Menschen, die wissen, dass sie etwas vereine und zusammenhalte. Auch wenn in der Politik nicht immer alles perfekt sei, so Ibert weiter: „Wir wissen, dass es ganz bestimmt nicht besser wird, wenn wir damit anfangen, Menschen, die unter uns leben, zu verfolgen. Wenn wir Gerichte, die unparteiisch und überparteilich richten sollen, diskreditieren oder sogar beschränken. Wenn wir Medien, die frei und kritisch berichten sollen, verbieten. All das erlaubt unsere Verfassung aus guten Gründen nicht. Weil wir das alles wissen, sind wir heute hier. Und das verbindet uns.“
Der Oberbürgermeister machte darauf aufmerksam, dass es im Kampf gegen Rechtsradikale mit einer Demonstration allein nicht getan sei. „Wenden wir uns ab jetzt konsequenter gegen populistische Vereinfachungen, Hetze, harmlos daherkommende rassistische Bemerkungen“, betonte er. Der Einsatz für die Demokratie erfordere aber noch mehr als das. Damit spielte er auf die Kommunalwahl und die Europawahl am 9. Juni an. „Wir gehen zur Wahl, vielleicht stellen wir uns sogar zur Wahl, wir wählen Demokratinnen oder Demokraten und wir versuchen, auch andere davon zu überzeugen.“
Die Demonstrantinnen und Demonstranten rief Ibert zu Verfassungspatriotismus auf. Der sei unendlich wichtig. Denn er sei das Einzige, was die Verfassung selbst nicht vorschreiben könne. Wenn niemand mehr an die Verfassung glaube, könne sie selbst auch nicht mehr wehrhaft sein. „Aber noch nie hatten wir in diesem Land eine bessere Verfassung, noch nie eine menschlichere. Noch nie hatten wir eine Verfassung, um die es sich lohnt zu kämpfen“, sagte der Oberbürgermeister.
Und weiter: „Vergessen Sie nie, dass Hass, Ausweisungsphantasien, Antisemitismus und der Glaube an Verschwörungen noch niemals, wirklich niemals auch nur ein einziges Problem gelöst haben.“
Der 18-jährige Hadi Sayed-Ahmad, einer der beiden Sprecher des Jugendgemeinderats, wies darauf hin, dass er seit 18 Jahren deutscher Staatsbürger sei – mit Migrationshintergrund. Seine Familie stammt aus dem Libanon. Man sei ihm und seinen Eltern in Lahr mit Toleranz und Respekt begegnet, hob er hervor.
Diese Demonstration auf dem Rathausplatz sei nur möglich durch Demokratie. Sie dürfe deshalb nicht verloren gehen. Er wies auch auf andere Freiheiten hin, die nur durch Demokratie ermöglicht würden. Es lohne sich also, sie zu verteidigen. Und Sayed-Ahmad erläuterte auch, wie das gehen könnte: „Wer nicht wählt, wählt trotzdem. Wer kein Zeichen setzt, setzt trotzdem eines.“
„Die Unternehmen in der Region haben eine klare Haltung“, sagte Brigitta Schrempp, Vizepräsidentin der IHK Südlicher Oberrhein. Deutschland sei ein Land der Offenheit und so solle es auch bleiben. Für die Wirtschaft sei der wachsende Einfluss von Radikalen eine schlechte Entwicklung. Das schrecke Investoren ab und schade dem ganzen Land. „Heute setzen wir deshalb ein Zeichen für ein gutes Miteinander in der Gesellschaft.“ Eine Willkommenskultur für Arbeitskräfte aus dem Ausland sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Wenn die Mitte geschlossen handelt, fehlt den Radikalen das Wasser auf ihren Mühlen.“ Die Haltung von Rechtsaußen gegenüber Migranten sei unanständig, schamlos und menschenverachtend.
Sana Hüssein Alyaaqubi aus dem Irak lebt seit 25 Jahren mit ihrer Familie in der Stadt. „Ich bin keine Lohrerin“, sagte sie, „aber ich bin eine Lahrerin“. Sie wies darauf hin, dass sich die Migranten in Lahr integriert hätten, durch ihre Arbeit die Wirtschaft unterstützen und durch ihr soziales Engagement die Gesellschaft. „Sie fühlen sich in unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat sicher.“ Aber jetzt erscheine ihr Leben und ihre Existenz bedroht – von Rechtsradikalen. Das sei aber eine Bedrohung aller Menschen in Deutschland. Denn welche Arbeitskräfte aus dem Ausland werden noch nach Deutschland kommen wollen, um die Lücken auf dem Arbeitsmarkt zu schließen, fragte sich die Lahrerin.
Auch Hilda Beck Vorsitzende des Vereins Bürger Aktiv Lahr und Russlanddeutsche, beschäftigte sich mit dem Thema Integration und zeichnete ihren Weg und den ihrer Landleute nach ihrer Ankunft in Lahr nach.
Hintergrund des Aufrufs zur Demonstration, so hatte Roland Hirsch (SPD) bei einer Pressekonferenz im Vorfeld der Demo gesagt, sei nicht nur das Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam, das in den vergangenen Wochen bundesweit Anlass dafür war, dass Menschen zu Tausenden auf die Straße gingen. „Wie groß das Problem ist, hat sich gezeigt, als der Abgeordnete Thomas Seitz sein AfD-Zentrum in Lahr eröffnete. Die Bedrohung ist greifbar und sichtbar“, so der SPD-Stadtrat weiter. Bei der Demo gegen dieses Zentrum am Dreikönigstag seien Sven Täubert (Grüne) und er vermehrt angesprochen worden. „Daraufhin haben wir beschlossen: Wir wollen aktiv werden“, so Hirsch. Gerne hätte man dafür alle Fraktionen ins Boot geholt, betonte Täubert. „Aber das hat leider nicht geklappt“, zeigte er sich enttäuscht von der Absage von Teilen der CDU-Fraktion.
Dem Aufruf zur Demo hatten sich zahlreiche Organisationen angeschlossen. Darunter der Freundeskreis Flüchtlinge Lahr, die evangelische und die katholische Kirche, Gewerkschaften, die Schulen, der Naturschutzbund und der interkulturelle Beirat. Auch das Friedensforum und der Freundeskreis der ehemaligen Synagoge Kippenheim hatten ihre Bereitschaft zur Teilnahme signalisiert. „Das ist das Bündnis, das wir brauchen zur Verteidigung unserer Werte“, zog Täubert in der Pressekonferenz Bilanz.
Fazit der Demo: „Eine so große Demonstration hat Lahr noch nie gesehen.“ Das sagte einer, der schon aus beruflichen Gründen dazu berufen ist, das gut einschätzen zu können.
Weitere Informationen
- Zur Demonstration gibt es ein Fotoalbum.
- Der Freundeskreis ruft zur Teilnahme an der Demo auf.
- Die Badische Zeitung berichtet über die Demo.
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